Russland kündigt Einrichtung humanitärer Korridore für heute an
In fünf Städten sollen am Dienstagmorgen lokale Waffenruhen gelten. Zuvor hatte die dritte Verhandlungsrunde zwischen Russland und der Ukraine stattgefunden.

Russland hat die Einrichtung mehrerer humanitärer Korridore in der Ukraine angekündigt. In den Städten Kiew, Charkiw, Mariupol, Tschernihiw und Sumy sollen am Dienstag ab 10 Uhr (8 Uhr MEZ) lokale Waffenruhen gelten, wie das Verteidigungsministerium in Moskau am Montagabend nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen ankündigte. Zivilisten soll so die Flucht aus den umkämpften Städten ermöglicht werden. Alle fünf Städte standen in den vergangenen Tagen unter schwerem Beschuss durch die russische Armee.
Zuvor hatte die dritte Verhandlungsrunde zwischen Russland und der Ukraine im polnisch-belarussischen Grenzgebiet stattgefunden. Während Kiews Unterhändler am Montag nach einer dritten Verhandlungsrunde mit Russland über die Einrichtung „humanitärer Korridore“ von „kleinen positiven Ergebnissen“ sprach, erklärte die russische Seite, ihre Erwartungen hätten sich „nicht erfüllt“.
Die Erwartungen waren allerdings von Anfang an gering. Moskau hatte bereits am Montagmorgen die Öffnung mehrerer humanitärer Korridore angekündigt, über die Menschen aus den Städten Kiew, Charkiw, Mariupol und Sumy in Sicherheit gebracht werden sollten. Allerdings sollte die Hälfte dieser Korridore nach Russland oder Belarus führen, von wo aus die russische Armee am 24. Februar in der Ukraine einmarschiert war.
„Das ist keine akzeptable Option“, erklärte die stellvertretende ukrainische Regierungschefin Iryna Wereschtschuk. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warf Moskau „moralischen und politischen Zynismus“ vor. Er „kenne keine Ukrainer, die nach Russland fliehen wollten“, sagte er.
AFP-Journalisten berichteten am Montag von tausenden Zivilisten, die über eine inoffizielle Fluchtroute aus dem Kiewer Vorort Irpin flohen. Kinder und ältere Menschen wurden auf Teppichen, die als Tragen dienten, über eine behelfsmäßige Brücke transportiert. Die strategisch wichtige Ortschaft westlich der Hauptstadt ist seit Tagen heftig umkämpft. Am Vortag waren dort nach ukrainischen Angaben acht Menschen bei Beschuss ums Leben gekommen.
Am Montag wurden 13 Menschen bei einem russischen Angriff auf eine Großbäckerei in der 50 Kilometer westlich von Kiew gelegenen Stadt Makariw getötet. Nach Angaben der Rettungskräfte wurden fünf weitere Menschen lebend aus den Trümmern geborgen. In Hostomel, einem nordwestlichen Vorort von Kiew, kam Bürgermeister Juri Illitsch Prylipko ums Leben, während er nach Angaben der Stadtverwaltung „Brot und Medikamente an Kranke“ verteilte.
Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow erklärte auf Facebook, die russischen Truppen würden versuchen, ihre Soldaten „für eine neue Angriffsserie zusammenzuführen“, vor allem gegen Kiew, Charkiw, Tschernihiw im Norden und Mykolajiw im Süden, erklärte Resnikow. Befürchtet wurden auch Angriffe auf die bislang verschonte Schwarzmeer-Metropole Odessa.
Ein Berater des ukrainischen Innenministeriums warnte, die russischen Soldaten würden „wahrscheinlich in den nächsten Tagen“ versuchen, Kiew einzunehmen. Die Armee hielt sich bereit, die letzte Brücke zu zerstören, welche die Hauptstadt mit dem westlichen Umland verbindet. „Jedes Haus, jede Straße, jeder Kontrollposten wird standhalten“, sagte Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko in einem Instagram-Video. Die Menschen seien bereit, dafür in den Tod zu gehen.
Die bereits stark zerstörte Stadt Tschernihiw 150 Kilometer nördlich der Hauptstadt wurde in der Nacht erneut von russischer Artillerie angegriffen. Mykolajiw wurde von russischen „Grad“-Raketenwerfern attackiert. Auch die Stadt Sumy wurde weiter belagert und heftig beschossen. Die regionale Militärverwaltung berichtete von „mehreren Toten“. Russische Schiffe im Schwarzen Meer feuerten zudem Raketen auf das Dorf Tusly in der Region Odessa, wie ein Militärsprecher der Region mitteilte.
Die Lage der Menschen in den belagerten Städten verschlechtert sich von Tag zu Tag. Lebensmittel, Wasser und Strom werden knapp, sie können kaum noch die Schutzräume verlassen. Nach UN-Angaben sind bis Montag mehr als 1,7 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen, 60 Prozent von ihnen nach Polen. Hinzu kommen unzählige Binnenvertriebene.
