In den digitalen Netzwerken ist bereits die Rede von einem geplanten „Coup“, vom „Ende der Demokratie in den USA“. Grund ist die Ankündigung eines neuen Falls vor dem Obersten Gerichtshof: Der Supreme Court kündigte an, sich im kommenden Herbst einem brisanten Rechtsstreit zu widmen, dem sogenannten „Moore vs. Haper“-Fall. Ein Urteil könnte das US-amerikanische Wahlsystem grundlegend ändern, gar Präsidentschaftswahlen beeinflussen. Deutschsprachige Medien berichteten am Montag, an dem in den USA der nationale Unabhängigkeits-Feiertag, der „Independence Day“, begangen wird.
Im Fall „Moore vs. Harper“ geht es im Kern um die Auslegung der Verfassung der USA. Im Vordergrund geht es darum, ob Gerichte die umstrittene Praxis des „Gerrymandering“ verbieten dürfen – also das Nachziehen von Wahlkreisgrenzen entlang demografischer Verteilung in der Bevölkerung mit dem Ziel, Wahlergebnisse zu beeinflussen.
Der Supreme Court wird den Fall #MoorevHarper anhören. Darin geht es letztlich um die Frage ob die rechte „Independent State legislature doctrine“ sich aus der Verfassung ableitet. Wenn das Gericht dem zustimmt, ist das das Ende der Demokratie in den USA.
— Annika Brockschmidt (@ardenthistorian) July 3, 2022
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Die Debatte im Hintergrund des Falls ist eine umstrittene Auslegung von Artikel II Absatz 1 der US-amerikanischen Verfassung. Befürworter der sogenannten „Independent State Legislature Doctrine“ fordern damit, dass den Parlamentskammern der Bundesstaaten, also ihren Gesetzgebern, mehr Kompetenzen im Wahlrecht zukommen.
Wahlrechtliche Kompetenzen würden so von den Gerichten, also der Judikative, an die Legislative übertragen. Diese Deutung der Verfassung vertreten rechte Republikaner und Konservative seit Anfang der 2000er-Jahre, als George W. Bush gegen den Demokraten Al Gore antrat.
Der nun vom Obersten Gerichtshof angenommene konkrete Fall zu „Moore vs. Harper“ kommt aus dem Bundesstaat North Carolina. Die dortigen republikanischen Vertreter des Repräsentantenhauses hatten ihn vorgetragen. In North Carolina wurden die Wahlkreisgrenzen vor zwei Jahren nach einer Volkszählung neu gezogen. Laut Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) hatten damals demokratische Organisationen die neuen Wahlkreise angefochten, weil sie aus ihrer Sicht zugunsten der Wahlergebnisse der Republikaner manipuliert gewesen seien. Sie bekamen im Februar dieses Jahres recht.
Nun brachten Republikaner aus North Carolina den Fall vor den Supreme Court. Sie wollen die Kompetenz zur Bestimmung der Wahlkreise für die Legislative beanspruchen – auch, um eigenständig Wahlmänner für Präsidentschaftswahlen bestimmen zu können. So ließen sich in der Konsequenz auch Wahlergebnisse anfechten. „Außerdem wären staatliche Gerichte nicht mehr in der Lage, antidemokratische Gesetze rückgängig zu machen oder manipulierte Wahlbezirke anzufechten“, schreibt das RND.
Supreme Court: Recht auf Abtreibung gekippt
Wenn der Supreme Court im Herbst im Sinne der Kläger urteilt, könnte die nächste Wahl im Jahr 2024 zugunsten der Republikaner ausgehen, auch wenn der demokratische Kandidat oder Kandidatin mehr Stimmen bekommt. „Es ist die Vorbereitung des ‚legalen‘ Coups 2024“, schreibt die Historikerin Annika Brockschmidt.
Der Supreme Court hatte den Fall in der Vergangenheit bereits mehrfach zurückgewiesen. Nun kündigten laut der Historikerin Brockschmidt bereits vier der neun Richter ihre Zustimmung für Varianten der Doktrin an.
Der vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump in großen Teilen besetzte rechtskonservative Flügel des obersten US-Gerichts ist mit sechs Personen größer vertreten als der als liberal geltende, dreiköpfige Teil. Viele jüngere Urteile fielen durch eine Nähe zu republikanischen Positionen auf. Erst vor Kurzem entschied der Supreme Court, das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche in den USA zu kippen.
