Orchester unter Druck: Von Merkels Zapfenstreich-Wünschen überrascht
„Du hast den Farbfilm vergessen“ von Nina Hagen und „Für mich soll's rote Rosen regnen“ von Hildegard Knef sind im Notenarchiv der Bundeswehr nicht auf Lager.

Berlin - Die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den Stabsmusikkorps der Bundeswehr mit ihren Musikwünschen für den Großen Zapfenstreich am Donnerstag in Zeitdruck gebracht. „Die Wünsche kamen spät und haben mich überrascht“, sagte Dirigent und Oberstleutnant Reinhard Kiauka der Tageszeitung taz. „Wir hatten neun Tage Vorlauf. Das ist sportlich.“
Neben dem Kirchenlied „Großer Gott, wir loben Dich“ probt das Stabsmusikkorps „Für mich soll's rote Rosen regnen“ von Hildegard Knef und den Song „Du hast den Farbfilm vergessen“, mit dem die Punk-Sängerin Nina Hagen 1974 in der DDR einen Hit landete. „Die beiden Songs sind in unserem Notenarchiv nicht vorhanden“, so Kiauka. Binnen zwei Tagen sei der Hagen-Titel neu für ein Blasorchester arrangiert worden. Für das Knef-Stück hätten zumindest bei einem Musikverlag Blasmusiknoten vorgelegen.
Schrille „Godmother of Punk“ Nina Hagen verblüfft
„Ich bin übrigens von der Zapfenstreich-Musik-Auswahl genauso überrascht worden, wie meine Freunde und meine Feinde gleichermaßen“, heißt es von Nina Hagen über Angela Merkels Entscheidung, ihren DDR-Hit „Du hast den Farbfilm vergessen“ beim feierlichen Abschied aus dem Kanzleramt hören zu wollen.
Zwar schiebt die Rocksängerin in gewohnt spleeniger Art hinterher, dass sie das „übrigens für eine Fake-Meldung halte“, obwohl sogar die Tagesschau berichtet habe. Nun ist der bekannte DDR-Schlager nach 16 Jahren Merkel-Regierung Teil des höchsten militärischen Zeremoniells der Bundesrepublik.
„Das Arrangieren moderner Titel ist eine hohe Kunst“
Beim Zapfenstreich ist die Instrumentierung mit Blasinstrumenten und Schlagwerken festgelegt. „Das entsprechende Arrangieren moderner Titel ist eine hohe Kunst“, sagte Kiauka. Aber dadurch entstehe oft eine ganz eigene Version - „und das kann auch seinen Reiz haben“.
Die Bundeswehr verabschiedet sich am Donnerstag ab 19.30 Uhr mit einem Großen Zapfenstreich, der höchsten militärischen Würdigung in Deutschland, von der geschäftsführenden Kanzlerin. Anders als sonst wird es wegen der Corona-Pandemie aber keinen Empfang und eine deutlich geringere Zahl an Gästen geben. Als Ehrengast wird nach Angaben des Verteidigungsministeriums Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erwartet. Die Zeremonie soll live im Fernsehen übertragen werden.
Der heute gebräuchliche Ablauf wird erstmals 1838 in Berlin aufgeführt. Dazu gehört etwa, dass der Zapfenstreich immer abends im Fackelschein stattfindet. Gespielt wird dabei eine historisch festgelegte Musikfolge, an deren Ende die Nationalhymne steht. Allein die sogenannte Serenade nach dem Aufmarsch kann variabel gestaltet werden. Die Geehrten dürfen dafür drei Stücke ohne besondere Vorgaben selbst wählen. Die jeweiligen Wünsche - etwa Pop-Hits - werden dann für das Militärorchester umgeschrieben, das aus etwa einem Dutzend verschiedener Blasinstrumente und mehreren Schlagwerken besteht.
Diese Lieder wünschten sich Merkels Vorgänger
Wie sehr ein Zapfenstreich ans Herz geht, zeigte sich bei Merkels Vorgänger Gerhard Schröder. Nach „Summertime“ aus George Gershwins Oper „Porgy and Bess“ und Kurt Weills „Moritat von Mackie Messer“ aus Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ setzte ein Trompeter zu Frank Sinatras „My Way“ an - was den Kanzler zu Tränen rührte.
Vor allem aus dem Verteidigungsministerium kamen zuletzt ungewöhnliche Wünsche: Franz Josef Jung lauschte der gediegenen Andrea-Bocelli-Schmonzette „Time To Say Goodbye“, während es bei Karl-Theodor zu Guttenberg mit der Deep-Purple-Hardrock-Hymne „Smoke On The Water“ etwas heftiger zur Sache ging. Thomas de Maizière ließ alle Scheu fahren und das Musikkorps den 1980er-Gassenhauer „Live Is Life“ der österreichischen Popgruppe Opus aufspielen. Die heutige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wählte etwa „Wind Of Change“ der Scorpions bei ihrem Abschied aus dem Bendlerblock.
