Polizeigewalt in Berlin: „Ein Zeichen von Systemversagen“

UN-Experte Nils Melzer sagt zu Gewalttaten bei Corona-Demos: „Die Behörden sehen gar nicht, wie blind sie sind.“

Einsatzkräfte der Polizei bei einer Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen in Berlin.
Einsatzkräfte der Polizei bei einer Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen in Berlin.imago

In Deutschland gibt es im Umgang der Behörden mit Polizeigewalt Systemversagen. Das ist das Fazit von Nils Melzer. Er war bis Ende März UN-Sonderberichterstatter für Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Anlass für seine scharfe Kritik sind mehrere Fälle von Polizeigewalt bei Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin. Melzer war im Sommer 2021 wegen mehrerer Videos, die Polizeigewalt bei Berliner Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen zeigten, aufgeschreckt worden. Er äußerte Sorge darüber und bat die Bundesregierung um eine Stellungnahme.

„Ich fand die Reaktion der Regierung bedenklich“, sagte er jetzt. Nach Auffassung der Bundesregierung sei es verhältnismäßig gewesen, dass Polizisten beispielsweise einen nicht aggressiven Demonstranten vom Fahrrad stießen und auf den Boden warfen. „Die Wahrnehmung der Behörden, was verhältnismäßig ist, ist verzerrt“, sagte Melzer.

Er habe die Bundesregierung um eine Statistik gebeten, wie viele Polizisten wegen unverhältnismäßiger Gewalt belangt werden, sagte Melzer. Die Antwort sei gewesen: in zwei Jahren sei es ein einziger gewesen, und in mehreren Bundesländern gebe es gar keine Statistiken. „Das ist kein Zeichen von Wohlverhalten, sondern von Systemversagen“, sagte Melzer. „Die Behörden sehen gar nicht, wie blind sie sind.“

Während Demonstranten teils in Schnellverfahren abgeurteilt würden, würden Verfahren gegen Polizisten eingestellt oder verschleppt, „bis niemand mehr hinschaut“. Sein Fazit: „Die Überwachung der Polizei funktioniert in Deutschland nicht.“ Arroganz sei gefährlich, sagte Melzer: „Das zerstört das Vertrauen der Bürger in die Polizei.“ Zunächst berichtete die Welt.

Melzer hat seine abschließende Einschätzung am 28. März nach Berlin geschickt. Es dauert 60 Tage, bis das UN-Büro für Menschenrechte sie veröffentlicht. Melzer ist wegen einer Berufung in das Direktorium des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) Ende März von seinem UN-Amt zurückgetreten. Der Dialog mit Berlin sei damit abgeschlossen, sagte Melzer.