Putin: Keine Lebensmittel mehr für „feindliche Nationen“?

Russland will seine Lebensmittel-Exporte drosseln. Aus der Türkei kommt der Verdacht, die Maßnahme richte sich vor allem gegen Deutschland.

Wladimir Putin bei einem Treffen am 6. April im Kreml in Moskau.
Wladimir Putin bei einem Treffen am 6. April im Kreml in Moskau.AP/Mikhail Klimentyev, Sputnik, Kremlin Pool

Der russische Präsident Wladimir Putin droht dem Westen mit einer möglichen Verknappung von Lebensmittellieferungen. Putin sagte am Dienstag, dass Moskau die Lebensmittelexporte in „feindliche“ Nationen sorgfältig „beobachten“ werde. Dies gelte insbesondere für Staaten, die sich den westlichen Sanktionen gegen Russland anschließen. „Vor dem Hintergrund der weltweiten Nahrungsmittelknappheit müssen wir in diesem Jahr mit Lieferungen ins Ausland vorsichtig sein und solche Exporte in Länder, die uns eindeutig feindlich gesinnt sind, sorgfältig beobachten“, sagte Putin bei einem Treffen mit Verantwortlichen aus der Landwirtschaft laut AFP.

Die Drohung betrifft den Westen, also die EU und die USA, die nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine drastische Sanktionen verhängt haben. Sie soll aber auch dazu dienen, andere Staaten abzuschrecken, sich den Sanktionen anzuschließen. Viele Staaten vor allem in Afrika und Lateinamerika haben sich bisher geweigert, ihre Beziehungen zu Moskau zu kappen. Von den großen Nationen betreiben vor allem Brasilien, Indien, China und die Türkei sowie Israel weiter uneingeschränkt Handel mit Russland.

Nachrichtenagentur sieht Zusammenhang zwischen Energie und Lebensmittelknappheit

Die türkische Nachrichtenagentur Anadolu arbeitet einen Zusammenhang mit der jüngst von der Bundesregierung vorgenommenen Verstaatlichung von Gazprom Germania heraus - eine Entscheidung, die in Moskau wohl für großen Zorn gesorgt haben dürfte. Fehler in der Wirtschafts-, Energie- und Lebensmittelpolitik der Industrieländer seien die Ursache für den starken Anstieg der Lebensmittelpreise auf der ganzen Welt, so Putin. Die Situation habe sich in den vergangenen Wochen verschlechtert. Die Agentur zitiert die Aussagen Putins im Hinblick auf die Gasprom Germania: Putin habe gesagt, die Situation auf dem Energiemarkt sei teilweise durch „harte, nicht marktbezogene Maßnahmen“ verursacht worden, darunter „administrativer Druck“ auf das Unternehmen Gazprom. „Wir erleben einen weiteren Versuch unserer Partner, ihre eigenen Fehler im Bereich Wirtschaft und Energie Russland anzulasten und die diesbezüglichen Fragen und Probleme erneut auf unsere Kosten zu lösen“, so Putin. Der Präsident habe vor Versuchen gewarnt, russische Unternehmen zu verstaatlichen, und sagte, dies sei „eine zweischneidige Waffe“.

Auch die französische Nachrichtenagentur AFP sieht den Zusammenhang  zwischen Energie und Lebensmittelknappheit und schreibt, Putin drohe wegen „brachialer Maßnahmen einschließlich des Verwaltungsdrucks auf unser Unternehmen Gazprom in einigen europäischen Ländern“ mit Vergeltung.

Die höheren Energiepreise würden in Verbindung mit einem Mangel an Düngemitteln den Westen veranlassen würden, Geld zu drucken, um Vorräte aufzukaufen, was zu Nahrungsmittelknappheit in ärmeren Ländern führen würde. Diese Maßnahmen des Westens würden „die Lebensmittelknappheit in den ärmsten Regionen der Welt unweigerlich verschärfen, neue Migrationswellen anspornen und die Lebensmittelpreise generell noch weiter in die Höhe treiben“, sagte Putin bei dem Treffen.

Putin sagte, dass die Lebensmittelproduktion des Landes den russischen Inlandsbedarf „vollständig“ decke, und forderte die Beamten der Verwaltung auf, die Substitution von Importen zu verstärken. „Wir müssen klare Ziele für die Importsubstitution setzen und diese in naher Zukunft konsequent verfolgen“, sagte er und verwies auf das „Potenzial“ des Landes in Landwirtschaft, Industrie und Wissenschaft. Der russische Präsident sagte, es sei wichtig, „die negativen externen Auswirkungen“ für die Bürger Russlands zu minimieren. Die Bürger sollten Zugang zu „hochwertigen, erschwinglichen Lebensmitteln, einschließlich Fischprodukten“ haben. Putin: „Das ist eine Schlüsselaufgabe für das laufende Jahr.“

Westafrika steht am Rande der schlimmsten Nahrungsmittelkrise

Viele Länder der Welt, insbesondere Entwicklungsländer, sind im Hinblick auf die Lebensmittelproduktion von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine betroffen. Russland und die Ukraine gehören zu den weltweit wichtigsten Exporteuren von Grundnahrungsmitteln, etwa von Weizen, Sonnenblumen, Mais und Gerste. Bereits durch die Corona-Pandemie hatten viele Länder mit massiven Problemen bei den Lieferketten zu kämpfen. Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine sind die Lebensmittelpreise explodiert, wodurch vor allem die ärmeren Staaten der Welt betroffen sind.

Vor allem Westafrika steht am Rande der schlimmsten Nahrungsmittelkrise seit zehn Jahren, getrieben von Konflikten, Dürre und den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die Verfügbarkeit und Preise von Nahrungsmitteln. Dies sagten elf internationale Hilfsorganisationen am Dienstag in einer Warnung an die Weltgemeinschaft. In der Region leiden etwa 27 Millionen Menschen an Hunger, und diese Zahl könnte bis Juni auf 38 Millionen steigen, ein Anstieg von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr und ein historischer Höchststand. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen werden dieses Jahr in der Region 6,3 Millionen Kinder im Alter von sechs Monaten bis fünf Jahren akut unterernährt sein.

Russland ist außerdem ein wichtiger Düngemittelproduzent. Diese Industrie wurde durch die Sanktionen gegen Finanzen und Logistik in ihrer Fähigkeit getroffen, die Produkte ins Ausland zu exportieren. Damit wird die landwirtschaftliche Produktion weltweit beeinträchtigt, was zu weiteren Preissteigerungen führen dürfte und weitere Kraftstoffpreissteigerungen bewirken könnte.

Um den Export wieder vollständig aufnehmen zu können, müssten Fragen der Logistik und der Versicherungen geklärt werden, sagte Putin. Russland hatte Anfang März „befristete“ Ausfuhrbeschränkungen für Düngemittel verkündet. Mehrere internationale Schifffahrtsgesellschaften haben die Verladung von Schiffen an Häfen des Landes eingestellt. Zudem weigern sich Unternehmen, russische Frachten zu versichern. Am Dienstag hatte die EU neue Sanktionen gegen Moskau verkündet, unter anderem Hafensperren. Die EU-Kommission gibt an, die Sanktionen gegen russische Schiffe würden nicht den Transport von landwirtschaftlichen Produkten, Energieträgern und humanitären Gütern betreffen.

In jedem Fall ist mit weiteren Preissteigerungen bei Lebensmitteln zu rechnen: Beobachter gehen davon aus, dass im Falle einer weiteren Verschärfung der Sanktionen Lebensmittel über neue Zwischenhändler auf die Märkte gelangen, deren Geschäftsmodell auf Preisaufschlägen beruht.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat der russischen Führung vorgeworfen, Hunger als Kriegswaffe einzusetzen. Russlands Armee zerstöre die Lebensgrundlage der Menschen und blockiere die Häfen des Landes, sagte Selenskyj bei einer per Videochat übertragenen Ansprache an das irische Parlament in Dublin am Mittwoch. Selenskyj warnte vor einer globalen Hungerkrise infolge der russischen Invasion in sein Land, weil der Krieg auch die Lebensmittelproduktion in der Ukraine massiv beeinträchtigt.

Das Bundeswirtschaftsministerium hatte am Montag die Bundesnetzagentur vorübergehend als Treuhänderin für die Gazprom Germania eingesetzt. Die Anordnung diene dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie „der Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zur Begründung. Die Gazprom Germania GmbH betreibe in Deutschland kritische Infrastruktur und habe damit eine „herausragende Bedeutung für die Gasversorgung“. Er hob hervor: „Die unklaren Rechtsverhältnisse, Verstöße gegen die Meldepflicht und die Ankündigung der Liquidierung der Gazprom Germania zwingen die Bundesregierung nun zu diesem Schritt.“

Gazprom Germania fungierte nach Angaben des Wirtschaftsministeriums bisher „als Holding für Aktivitäten von Gazprom in Deutschland und anderen europäischen Ländern, insbesondere auch beim Betrieb von kritischer Infrastruktur“. Dazu zählten demnach auch der Energiehandel sowie der Gastransport und Betrieb von Gasspeichern.

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