Rainer Wendt: Eine unangemeldete Versammlung ist nicht automatisch illegal

Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft sagt, ein standardisiertes Einschreiten der Polizei sei rechtswidrig. Er erwartet eine Zunahme der Corona-Proteste.

Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt.
Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt.dpa/ Martin Schutt

In Zusammenhang mit den zunehmenden Corona-Protesten hat sich der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, zu Wort gemeldet. Viele der Proteste, an denen am vergangenen Montag über 100.000 Menschen teilnahmen, sind nicht angemeldet. In einem Interview mit Focus Online sagt Wendt jetzt, dass eine unangemeldete Versammlung „nicht automatisch illegal“ sei. Wendt: „Selbst wenn bei Versammlungen gegen Auflagen verstoßen wird, steht nicht die Auflösung im Vordergrund“. Vielmehr sei „die Versammlungsleitung in der Pflicht, die Teilnehmenden zur Beachtung der Vorschriften zu ermahnen“. Jede einzelne Versammlung müsse für sich gesondert bewertet werden. Der frühere Polizeihauptkommissar und Dienstgruppenleiter weiter: „Ein standardisiertes Einschreiten wäre nicht nur taktisch falsch, sondern sicher auch rechtswidrig.“ Die deutsche Rechtsprechung habe „hohe Hürden für ein Einschreiten der Polizei gesetzt.“

Zudem erwartet Wendt eine Zunahme der Proteste, vor allem in Zusammenhang mit der von vielen Politikern geforderten allgemeinen Impfpflicht. Auch in Berlin nimmt die Zahl der teils auch unangemeldeten Protestaktionen und Demonstrationen zu. Wendt sagte Focus Online: „Leider muss man damit rechnen, dass die Proteste sich verstärken und es zu neuen Formen der Auseinandersetzung kommen kann. Dazu zählen ausdrücklich auch unfriedliche Aktionen.“ Zwar sei die Polizei in Berlin und Deutschland „auf alle möglichen Szenarien vorbereitet“. Dennoch würden die Proteste „den Rechtsstaat in nie gekannter Weise“ herausfordern.

So gehe es vielen Menschen inzwischen um weitaus mehr als um Maskenpflicht oder Abstandsgebote. Wendt: „Sie sehen ihre Grundrechte und die Demokratie insgesamt in Gefahr und gehen deshalb auf die Straße“. Es gebe aber auch Personen, die die „Konfrontation mit den Behörden“ suchen und dabei auch vor Gewalt nicht zurückschrecken würden. Wer sich vom reinen Anblick uniformierter Polizeikräfte „provoziert und zu Gewalt ermuntert sieht, hat ein tief gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat“, so Wendt.

„Keine Rechtsverpflichtung, mit der Corona-Politik zufrieden zu sein“

Immer wieder gibt es Berichte, dass auch Polizisten die Corona-Politik kritisch sehen und mitunter selbst an Corona-Protesten teilnehmen. Zahlen darüber gebe es nicht, so Wendt. Der Gewerkschafts-Chef sagte weiter, es gebe aber „keine Rechtsverpflichtung, mit der Corona-Politik der Regierung zufrieden zu sein“. Ein Corona-Kurs sei zudem „nicht immer erkennbar“, und das sei ein Problem. Die Politik sei vor allem in Pandemie-Zeiten verpflichtet, „durch Klarheit in der Entscheidung und Deeskalation in der Sprache die gesellschaftlichen Konflikte nicht noch hochzukochen und rivalisierende Gruppierungen nicht noch gegeneinander aufzustacheln.“

Und weiter: „Auch der Generalverdacht gegen einzelne Gruppen ist eher geeignet, Konflikte zu schüren, als sie zu besänftigen, etwa wenn Kritiker der Regierung pauschal ins Lager von Corona-Leugnern oder gleich in die rechte Ecke gestellt werden.“