Russische Energie bleibt für die deutsche Wirtschaft vorerst unverzichtbar

Russland ist der wichtigste Energielieferant Deutschlands. Jetzt ist eine Debatte um einen Importstopp entbrannt. Fragen und Antworten zu dem Thema.

Die Anlage des Erdgasspeichers (Astora GmbH) in Rehden. 2020 importierte die Bundesrepublik 56,3 Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas.
Die Anlage des Erdgasspeichers (Astora GmbH) in Rehden. 2020 importierte die Bundesrepublik 56,3 Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas.dpa/Mohssen Assanimoghaddam

Der Ukraine-Krieg macht die problematische Abhängigkeit Deutschlands und der EU von russischer Energie deutlich. Die Debatte um einen Importstopp für russische Energie ist entbrannt, doch insbesondere beim Erdgas könnte dies schwierig werden. Ein Überblick:

Wieviel Energie importiert Deutschland aus Russland?

Russland ist der wichtigste Energielieferant Deutschlands. 2020 importierte die Bundesrepublik 56,3 Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas, das entsprach rund 55 Prozent der Importe. Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums blieb dieser Anteil 2021 in etwa gleich. Zudem importierte Deutschland 2020 gut 28 Millionen Tonnen Rohöl aus Russland, das entsprach rund einem Drittel der Rohölimporte.

Sollten diese Lieferungen ausbleiben, würde sich dies nach aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts auch an den deutschen Seehäfen bemerkbar machen: Russland war mit 24,1 Millionen Tonnen von Januar bis November 2021 wichtigster Handelspartner der deutschen Seehäfen. 10,8 Millionen Tonnen davon entfielen auf fossile Energieträger, dies entsprach 37,7 Prozent aller über die Seehäfen importierten Brennstoffe.

Wie abhängig ist Russland von seinen Energieexporten?

Russland ist auf die Einnahmen aus dem Verkauf von Rohstoffen angewiesen. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) stammten im Januar 2022 rund 45 Prozent der russischen Haushaltsmittel aus Steuern und Zöllen auf den Export von Öl und Gas. Allein für Erdgas fließen pro Tag insgesamt rund 400 Millionen Dollar (368 Millionen Euro) aus der EU nach Russland, dieser Betrag könnte bei den aktuell hohen Gaspreisen weiter ansteigen. Die gesamten russischen Exporteinnahmen für Rohöl und Erdölfertigprodukte belaufen sich auf rund 700 Millionen Dollar pro Tag.

Kann Deutschland seine Abhängigkeit von russischer Energie kurzfristig verringern?

Laut dem Bundeskanzleramt wurde der russische Energiesektor bewusst von den Sanktionen ausgenommen - vorerst. „Die Versorgung Europas mit Energie für die Wärmeerzeugung, für die Mobilität, die Stromversorgung und für die Industrie kann im Moment nicht anders gesichert werden“, erklärt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Gemeinsam mit den westlichen Partner werde „mit Hochdruck“ daran gearbeitet, Alternativen zu russischer Energie zu entwickeln. Dies gehe „aber nicht von heute auf morgen“.

Können Europa und Deutschland auf Energielieferungen aus Russland verzichten?

Laut der Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wäre ein Lieferstopp zumindest bei Kohle und Rohöl denkbar - hier gebe es Alternativen. Die IEA verweist auf Saudi Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate sowie den wachsenden Ölschiefersektor in den USA.

Problematischer sei die Situation beim Erdgas, so Kemfert weiter. Die Abhängigkeit insbesondere Deutschlands sei hier besonders groß, zudem gebe es nur wenige Alternativen. Mehr Erdgas könnte über Pipelines aus Norwegen und Aserbaidschan kommen, doch die zusätzlichen Kapazitäten sind begrenzt.

Können Deutschland und die EU auf LNG ausweichen?

Eine weitere Alternative ist verflüssigtes Erdgas, bekannt unter der Abkürzung LNG. Im Jahr 2020 importierte Europa laut Zahlen des Energiekonzerns BP bereits knapp 115 Milliarden Kubikmeter LNG. Die Lieferungen kamen zumeist aus Katar und den USA. Auch aus Russland kamen 17,1 Milliarden Kubikmeter.

Deutschland steht jedoch vor einem Problem: Für die Annahme von LNG-Lieferungen und die Aufbereitung des Gases werden besondere Terminals zur Schiffsabfertigung benötigt - und die gibt es in Deutschland nicht, ein direkter Import ist also nicht möglich. Bisher wird das LNG in Deutschland über Terminals im belgischen Zeebrügge, im französischen Dünkirchen und aus den Niederlanden bezogen.

Wegen des Ukraine-Krieges hat Bundeskanzler Scholz in einer Regierungserklärung den beschleunigten Bau von zwei LNG-Terminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven angekündigt. Als Standort im Gespräch ist auch ein Terminal in Stade. Europaweit gibt es aktuell 37 LNG-Terminals, 26 davon liegen in Mitgliedstaaten der EU.