Russische Oligarchen: Rätselhafte Todesfälle häufen sich
Eine Reihe russischer Geschäftsmänner und ihre Familien wurden tot aufgefunden. In den meisten Fällen wird ein erweiterter Suizid vermutet.

Eine Reihe mysteriöser Todesfälle reicher Geschäftsmänner aus Russland beschäftigt derzeit die Polizei mehrerer Länder. Mindestens fünf von ihnen sollen seit Beginn des Kriegs in der Ukraine Suizid begangen haben, ein sechster wenige Wochen zuvor. Die jüngsten Todesnachrichten aus der vergangenen Woche machten weltweit Schlagzeilen. Innerhalb kurzer Zeit wurden zwei russische Oligarchen tot in Luxusvillen in Russland und Spanien aufgefunden. Neben ihnen lagen ihre engsten Familienangehörigen. Ebenfalls tot. Laut ersten Erkenntnissen soll es sich um erweiterte Suizide handeln – die Geschäftsmänner sollen also erst ihre Kinder, dann ihre Frau und schließlich sich selbst getötet haben. Es sind keine Einzelfälle.
Bei den Toten handelt es sich um den ehemaligen Vizepräsident der Gazprombank, Vladislav Avayev, dessen Frau und die 13-jährige Tochter. Alle Leichen, die in der Moskauer Wohnung von Avayev gefunden wurden, wiesen laut Polizei Schusswunden auf. In der spanischen Stadt Lloret de Mar fand man kurz darauf die Leichen der Familie des Geschäftsmanns Sergey Protosenya, der bis 2016 Hauptbuchhalter und Vorstandsmitglied des größten russischen privaten Energiekonzerns Novatek war. Seine Frau und die 18-jährige Tochter wurden Ermittlungen zufolge mit einer Axt ermordet. Protosenya selbst soll sich erhängt haben.
Doch die Liste der russischen Oligarchen, die seit Januar unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen sind, ist noch länger. Bei genauer Betrachtung der bisher vorliegenden Todesumstände der bekannt gewordenen Fälle wird deutlich, dass es einige Parallelen gibt. Hier eine Zusammenfassung:
- Am 18. April wurde der ehemalige Vizepräsident der Gazprombank zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter tot in seiner Wohnung am Universitetsky Prospekt in Moskau aufgefunden. Die Leichen wurden Berichten zufolge von einem Verwandten der Avayevs entdeckt, nachdem es mehrere Tage lang nicht möglich war, die Familie zu erreichen.
- Die Wohnung sei von innen verschlossen gewesen. In den Händen von Avayev wurde eine Pistole gefunden, sodass die Ermittler der Theorie nachgingen, Avayev habe seine Frau und seine 13-jährige Tochter erschossen, bevor er sich selbst tötete. Die in Privatbesitz befindliche Gazprombank ist nach Vermögenswerten die drittgrößte Bank in Russland.
In #Moscow, former vice-president of "Gazprombank" Vladislav Avaev shot dead his wife and 13-year-old daughter, after which he committed suicide.
— NEXTA (@nexta_tv) April 18, 2022
Previously, Avaev worked in the Office of the President and in the State Duma. pic.twitter.com/LUu3fSMszD
- Die Leiche des ehemaligen Topmanagers des russischen Energieriesen Novatek wurde am 19. April zusammen mit den Leichen seiner Frau und seiner Tochter in einer gemieteten Villa im spanischen Lloret de Mar gefunden. Die Familie hatte Medienberichten zufolge dort über Ostern Urlaub gemacht. Der 55-jährige Millionär wurde im Garten der Villa von der katalanischen Polizei erhängt aufgefunden, wie spanische Medien berichteten. Seine Frau und die 18-jährige Tochter sollen an Hieb- und Stichwunden gestorben sein. Die Tatwaffen: Angeblich eine Axt und ein Messer, berichtete die Daily Mail.
- Die spanischen Behörden halten sich bisher noch mit offiziellen Angaben zu den Ermittlungs- oder Obduktionsergebnissen zurück. Merkwürdig: Dem Bericht der Daily Mail zufolge, seien keine Fingerabdrücke auf der Axt und dem Messer gefunden worden. An der Leiche von Sergey Protosenya sei außerdem kein Blut von seiner 53-jährigen Ehefrau sowie der Tochter gefunden worden. Dabei soll er die beiden mit mehreren Hieben und Stichen ermordet haben.
- Die russische Zeitung Kommersant berichtete am 24. März über den Tod des Milliardärs Wassili Melnikow, der für das medizinische Unternehmen MedStom gearbeitet haben soll. Laut den Ermittlungsbehörden, auf die sich die Zeitung beruft, wurde Melnikow zusammen mit seiner Frau Galina und den beiden Söhnen tot in der seiner Luxuswohnung in Nischni Nowgorod aufgefunden. Sie seien alle an Stichwunden gestorben. Die Waffe, ein Messer, sei am Tatort sichergestellt worden.
- Die Ermittler gehen deshalb davon aus, dass Melnikow seine 41-jährige Frau sowie seine zehn und vier Jahre alten Kinder tötete, bevor er Suizid beging. Nach Angaben des ukrainischen Medienmagazins Glavred hatte Melnikovs Unternehmen aufgrund der westlichen Sanktionen große Verluste erlitten. Nachbarn und Verwandte würden die Theorie des erweiterten Suizid jedoch nicht glauben.
- Eine andere Theorie besagt laut den Recherchen von Glavred, dass es einen Streit mit einem ehemaligen Geschäftspartner gegeben habe könnte. Laut den von der Kommersant zitierten Quellen fand die Polizei in der Wohnung der Melnikovs jedoch keine Spuren einer äußeren Gewalteinwirkung oder eines Kampfes. Die Kinder wurden im Kinderzimmer und die Frau im Schlafzimmer gefunden. Melnikov wurde im Badezimmer mit einer durchtrennten Schlagader aufgefunden.
- Der in der Ukraine geborene russische Tycoon Mikhail Watford wurde am 28. Februar tot in seinem Haus in Surrey in Großbritannien gefunden. Ein Gärtner habe die Leiche in der Garage entdeckt, wo sich der 66-jährige Unternehmer erhängt habe, berichtete die Daily Mail. Die Polizei von Surrey erklärte, die Umstände seines Todes seien nicht verdächtig, wie die BBC berichtet. Watford lebte in dem Haus zusammen mit seiner estnischen Frau Jane und seinen drei Kindern.
- Der Großindustrielle hatte bereits vor Jahren seinen Namen vom ursprünglichen Tolstoscheja in Watford geändert. Er wurde 1955 in der damaligen sowjetischen Ukraine geboren und hatte sich als Öl- und Gasmagnat einen Namen gemacht.
- Am 25. Februar wurde der stellvertretende Generaldirektor des Unified Settlement Center (UCC) für Unternehmenssicherheit von Gazprom tot in einem Haus in der Nähe von St. Petersburg aufgefunden. Tjuljakow wurde erhängt in der Garage aufgefunden, hieß es. Die Polizei fand laut Behördenangaben neben der Leiche einen Zettel beziehungsweise einen Abschiedsbrief. Die Ermittler gehen daher davon aus, dass der Oligarch Suizid begangen hat.
- Ein Mitarbeiter des Ermittlungskomitees für das Gebiet Leningrad, der sich mit dem Tod von Tjuljakow befasst, erklärte gegenüber der russischen Zeitung Novaya Gazeta, dass ihm etwas sonderbar vorkam. So sollen die Gerichtsmediziner bereits am Tatort gearbeitet haben, während Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes von Gazprom eintrafen und den Tatort absperrten. Die Polizeibeamten selbst hätten zu dem Zeitpunkt vor dem Haus bleiben müssen.
- Der 61-jährige Tjuljakow war seit etwa zehn Jahren für Gazprom tätig und hatte zuvor als stellvertretender Generaldirektor für Unternehmenssicherheit und Personalwesen bei dem Energieriesen gearbeitet.
- Der erste Todesfall im Zusammenhang mit dem russischen Energieriesen Gazprom ereignete sich im Januar, also kurz vor Beginn der russischen Invasion in der Ukraine. Damals wurde der 60-jährige Topmanager von Gazprom tot im Badezimmer eines Hauses in der Region Leningrad aufgefunden. Auch er habe eine Notiz hinterlassen, die auf einen Suizid hinweise. Näheres zu der Todesursache wurde zunächst nicht bekannt. Zu dem Zeitpunkt soll der 60-Jährige schwer krank gewesen sein. Auch in diesem Fall wollte das Unternehmen Gazprom selbst ermitteln, berichtete die russische Mediengruppe RBC.
Telefonseelsorge: Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichen Sie rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen Sie Ihre Sorgen und Ängste teilen können. Auch ein Gespräch via Chat ist möglich. telefonseelsorge.de
Kinder- und Jugendtelefon: Das Angebot des Vereins „Nummer gegen Kummer“ richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis sonnabends von 14 bis 20 Uhr unter 11 6 111 oder 0800 – 111 0 333. Am Sonnabend nehmen die jungen Berater des Teams „Jugendliche beraten Jugendliche“ die Gespräche an. nummergegenkummer.de
Muslimisches Seelsorge-Telefon: Die Mitarbeiter von MuTeS sind 24 Stunden unter 030 – 44 35 09 821 zu erreichen. Ein Teil von ihnen spricht auch Türkisch. mutes.de
Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention: Eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland gibt es unter suizidprophylaxe.de.
