Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) hat ein weiteres Zusammentreffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin bestätigt. „Die gute Nachricht heißt: Der Kreml will eine Verhandlungslösung“, sagte er als Fazit des Treffens dem Magazin Stern und dem Sender RTL/ntv. Schröder war vergangene Woche in Moskau. Ein erster Erfolg sei das Getreideabkommen. „Vielleicht kann man das langsam zu einem Waffenstillstand ausbauen“, sagte der Altkanzler in dem am Mittwoch veröffentlichten Interview.
„Natürlich haben Deutschland und die Bundesregierung eine besondere Verantwortung, gerade auch gemeinsam mit Frankreich“, sagte Schröder. „Da geschieht derzeit nicht genug, ist mein Eindruck, denn eines ist doch klar: Es wird nicht ohne Gespräche gehen.“ Er verwies darauf, dass es „schon einen Verhandlungsansatz im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland“ gegeben habe, etwa in Istanbul im März. „Die Türken waren sehr hilfreich, wie sie auch in der Verhandlung über Getreidelieferungen aktuell sehr hilfreich sind.“
Altkanzler Gerhard Schröder: „Will man den Konflikt überhaupt lösen?“
Schröder bezeichnete den Krieg erneut als „Fehler der russischen Regierung“. Er fügte zugleich hinzu: „Wenn Sie sich mal die Probleme anschauen, die wirklich relevant sind, so sind sie lösbar.“ So sei es zum Beispiel „abwegig“, dass die Ukraine die Krim militärisch wieder zurückerobere. Beim Thema Nato-Mitgliedschaft habe selbst der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gesagt, „dass es eine Alternative gebe, etwa eine bewaffnete Neutralität für die Ukraine, ohne Nato-Mitgliedschaft, wie Österreich“.
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„Komplizierter“ sei es mit Blick auf den Donbass im umkämpften Osten der Ukraine. „Dazu wird man eine Lösung nach dem Schweizer Kantonsmodell finden müssen“, sagte Schröder weiter. Die eigentliche Frage müsse lauten: „Will man den Konflikt überhaupt lösen?“ Dann müsse es Zugeständnisse auf beiden Seiten geben.
Er als Privatperson könne den Konflikt nicht beenden, selbst wenn er die eine oder andere Möglichkeit habe, „ein paar Gedanken mit den handelnden Personen zu teilen“. Daher finde er gut, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan eine Vermittlung versucht habe. „Aber ohne ein Ja aus Washington wird es nicht gehen“, sagte Schröder.
Schröder: „Vielleicht kann ich noch mal nützlich sein“
Es gebe in Russland „wirkliche Einkreisungsängste, die aus der Geschichte gespeist sind“, sagte er weiter und fügte hinzu: „Und die haben ja leider auch ihre Berechtigung.“ Schröder lehnte erneut einen Bruch mit seinem Freund Putin ab. Schröder habe „mehrfach den Krieg verurteilt“ und frage zugleich, ob eine „persönliche Distanzierung von Wladimir Putin wirklich irgendjemandem etwas bringen“ würde. Er habe „Entscheidungen getroffen und dazu stehe ich“. Der Altkanzler fügte hinzu: „Vielleicht kann ich noch mal nützlich sein. Warum soll ich mich also entschuldigen?“
Angesichts des drohenden Gasmangels hat sich Schröder zudem für eine Inbetriebnahme der neuen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 ausgesprochen. Das wäre „die einfachste Lösung“, sagte er. Für derzeit ausbleibende Gaslieferungen aus Russland über die bestehende Nord-Stream-1-Leitung machte Schröder vor allem den Konzern Siemens verantwortlich.
Nord Stream 2 „ist fertig“, sagte der Altkanzler, der als Verwaltungschef der Betreiberfirma der neuen Gasleitung fungiert. „Wenn es wirklich eng wird, gibt es diese Pipeline, und mit beiden Nord-Stream-Pipelines gäbe es kein Versorgungsproblem für die deutsche Industrie und die deutschen Haushalte.“
Schröder macht Siemens für Turbinen-Diskussion verantwortlich
Andernfalls „muss man die Folgen tragen. Und die werden auch in Deutschland riesig sein“, warnte Schröder. Sollten die Gaspreise wie erwartet weiter steigen, würden die Menschen dann bald fragen, warum durch die neue Leitung kein Gas fließe. Nord Stream 2 war vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine nicht wie geplant in Betrieb genommen worden.
In den vergangenen Wochen hatte der russische Gaskonzern Gazprom außerdem die Lieferungen über die Nord-Stream-1-Pipeline stark gedrosselt. Russland verweist auf technische Probleme. Die Bundesregierung weist diese Argumentation jedoch zurück. Moskau setze vielmehr Gas als außenpolitisches Druckmittel ein.
Schröder widersprach der Darstellung Berlins und machte stattdessen dem Konzern Siemens Vorwürfe. Dass derzeit nur 20 Prozent der normalen Gasmenge durch Nord Stream 1 flössen, „liegt in der Verantwortung von Siemens, wenn ich das richtig sehe“, sagte er. Siemens habe die in den vergangenen Wochen viel diskutierte Turbine für Nord Stream 1 aus der Wartung in Kanada nach Mülheim an der Ruhr gebracht. „Warum sie dort ist und nicht in Russland, verstehe ich nicht.“
Schröder: Gas-Drosselung ist „technisches und bürokratisches Problem“
Schröder führte in Moskau auch nach eigenen Angaben Gespräche mit dem Verantwortlichen für die Energiewirtschaft. Nun sagte er, es gebe „keine politische Ansage des Kreml, den Gasfluss zu drosseln“. „Es handelt sich hier vorwiegend um ein technisches und bürokratisches Problem“, so Schröder.
Siemens selbst gibt an, die Turbine jederzeit nach Russland liefern zu können. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) besucht am Mittwoch den Siemens-Standort in Mülheim an der Ruhr. „Er wird sich vor Ort gemeinsam mit unserem Vorstandsvorsitzenden Christian Bruch die in Kanada für die Erdgas-Pipeline Nordstream 1 gewartete Turbine anschauen, die für den Weitertransport nach Russland bereitsteht“, erklärte das Unternehmen.
Schröder war bereits Anfang März nach Moskau gereist und hatte mit Putin über den Ukraine-Krieg gesprochen. Auch danach hatte er von einem Interesse Putins an einer Verhandlungslösung berichtet. Gegen Schröder läuft derzeit ein Parteiausschlussverfahren wegen seiner Nähe zu Putin und seines Engagements für russische Staatskonzerne. Aus der SPD waren insgesamt 17 entsprechende Anträge von Kreis- und Ortsverbänden eingegangen.
