Berlin-Der Fall hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst: Zwei afghanische Brüder sollen ihre geschiedene Schwester ermordet haben, weil sie sich nicht den Moralvorstellungen der Familie unterwarf und eine „teilweise moderne Lebensführung verfolgte“. Davon geht die Berliner Staatsanwaltschaft aus. Ein Jahr nach der Festnahme der heute 27 und 23 Jahre alten Männer geht der Prozess am Berliner Landgericht in den fünften Monat und soll nach einer dreiwöchigen Pause an diesem Mittwoch (9.30 Uhr) fortgesetzt werden.
Die 22. Große Strafkammer des Landgerichts hat bislang zehn weitere Verhandlungstage bis zum 10. Oktober geplant. Auf dem Programm steht auch ein DNA-Gutachten. An einem Klebeband am Handgelenk der Leiche sollen Kriminaltechniker ein Stück eines abgerissenen Einmalhandschuhs und darauf DNA eines Angeklagten gefunden haben.
An den bislang 24 Verhandlungstagen wurden 39 Zeugen vernommen, Videos und Fotos angesehen. Etwa Aufnahmen von Überwachungskameras, die zwei Männer im belebten Bahnhof Berlin-Südkreuz zeigen. Der Rollkoffer, den sie am 13. Juli 2021 zwischen vielen Menschen zogen, sah ausgebeult aus und wirkte schwer. Die Fahrt ging nach Bayern, wo der ältere Bruder lebte. In der Nähe seines Wohnortes wurde am 5. August vorigen Jahres die Leiche der zweifachen Mutter entdeckt.
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Verscharrt in einem Erdloch - die Bergung der Leiche dauerte vier Stunden. Polizeibeamte hielten ihr vorsichtiges Vorgehen in 75 Bildern fest. Als die Fotos im Prozess gezeigt wurden, hielt sich einer der Brüder die Augen zu, der andere wirkte erst wie erstarrt und schaute dann weg.
Ihre Schwester war nach den Ermittlungen als 16-Jährige zwangsverheiratet worden, hatte sich nach ihrer Flucht nach Deutschland von ihrem gewalttätigen Ehemann getrennt und in einen anderen Mann verliebt. Damit soll die 34-Jährige die vermeintliche Ehre ihrer Familie verletzt haben.
Die Brüder sollen ihre Schwester am 13. Juli 2021 unter dem Vorwand, eine Wohnung für sie und ihre Kinder gefunden zu haben, aus einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin gelockt haben. Wo genau die 34-Jährige umgebracht wurde, ist unklar. Die Brüder waren laut Ermittlungen am selben Abend mit dem Rollkoffer in einen ICE in Richtung München gestiegen. Der ältere Bruder lebte im bayerischen Donauwörth, der jüngere in einem Hostel in Berlin-Neukölln.
Die Staatsanwaltschaft geht von einem gemeinschaftlichen Mord aus niedrigen Beweggründen aus. Sie hätten ihre Schwester gedrosselt, gewürgt, ihr die Kehle aufgeschnitten. Zu den Vorwürfen haben die beiden Brüder bislang geschwiegen. Auch der ehemalige Ehemann, ein weiterer Bruder und ein Onkel schwiegen im Zeugenstand.
Klare und beeindruckende Worte fanden die Kinder der Getöteten in richterlichen Vernehmungen, die im letzten November in Bild-Ton-Aufzeichnung durchgeführt und im Prozess abgespielt wurden. Seine beiden Onkel seien „schlechte Menschen“, sagte der 14-jährige Sohn. Sie hätten seine Mutter geschlagen, kontrolliert, ihr einen Freund verboten, ihr gedroht. Die Tat habe „nichts mit Ehre zu tun, sondern mit Ehrlosigkeit“. Seine Mutter sei eine sehr gute Frau gewesen, habe viel gearbeitet - „die beste Mutter der Welt“. Die Tochter sagte, die beiden Brüder ihrer Mutter hätten auch sie geschubst, geschlagen, an den Haaren gezogen. Ein Onkel habe sie zwingen wollen, ein Kopftuch zu tragen. „Aber ich will das nicht.“ Ihre Mutter habe Übergriffe ihrer Brüder erduldet und nicht zur Polizei gehen wollen. „Die waren so gemein zu ihr, aber sie hat sie trotzdem geliebt“, sagte die damals Zehnjährige.
Eine Freundin der 34-Jährigen berichtete, die Frau habe ihren Freund vor ihren Brüdern geheim gehalten. „Die Brüder durften es nicht wissen, die ganze Familie nicht.“ Die Schwester habe mit dem Schlimmsten gerechnet. Eine andere Zeugin sagte, die 34-Jährige hätte gern das Kopftuch abgenommen. Andere Freundinnen der Frau bezeugten, dass sie es immer und aus Überzeugung getragen habe.