Mordanschlag: Japans Ex-Regierungschef Abe getötet

Shinzo Abe ist am Freitag auf offener Straße erschossen worden. Der mutmaßliche Täter wurde festgenommen – und hat gestanden.

Ex-Premierminister Shinzo Abe wurde bei einem Anschlag getötet.
Ex-Premierminister Shinzo Abe wurde bei einem Anschlag getötet.dpa/Maurizio Gambarini

Der mutmaßliche Attentäter von Japans ehemaligem Regierungschef Shinzo Abe hat die Tat gestanden. „Der Verdächtige gab an, dass er einen Groll gegen eine bestimmte Organisation hege und die Tat begangen habe, weil er glaubte, dass der ehemalige Ministerpräsident Abe eine Verbindung zu ihr habe“, sagte ein hochrangiger Polizeibeamter am Freitag. Nähere Angaben dazu machte er zunächst nicht.

Abe war am Freitagvormittag bei einem Wahlkampfauftritt in der Region Nara niedergeschossen worden und später seinen Verletzungen erlegen. Der öffentlich-rechtliche Sender NHK berichtete bereits kurz nach der Tat, dass Abe einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitten habe. Der mutmaßliche Schütze wurde umgehend festgenommen. Die Polizei identifizierte ihn als den 41-jährigen Tetsuya Yamagami, laut Medienberichten ein früherer Marinesoldat.

Nach Polizeiangaben gab der mutmaßliche Attentäter an, für den Angriff eine selbst gebaute Waffe verwendet zu haben. Dies habe er den Ermittlern gesagt, sagte ein Polizeivertreter. Die Untersuchung sei noch nicht abgeschlossen, aber die verwendete Waffe sei „eindeutig“ nicht aus professioneller Herstellung, fügte er hinzu.

Abe hielt am Freitagvormittag auf einer Wahlkampfveranstaltung in der westjapanischen Stadt Nara eine Rede, als der Anschlag auf ihn verübt wurde. Er stand auf einer Bühne vor dem Yamato-Saidaiji-Bahnhof und warb vor den Wahlen zum Oberhaus des Parlaments am Sonntag für seinen Parteikollegen Kei Sato. Dieser gehört wie Abe der liberaldemokratischen Partei LPD an.

Gegen 11.30 Uhr Ortszeit näherte sich Abe von hinten ein mit einem grauen Oberteil und einer braunen Hose bekleideter Mann, wie auf Aufnahmen japanischer Fernsehsender zu sehen ist. Er feuerte mindestens zweimal auf den Ex-Regierungschef.

Bericht: Abe konnte in den Minuten nach der Tat noch sprechen

Rauch stieg auf, und die verängstigten Anwesenden duckten sich zu Boden. Abe brach blutend zusammen, und Umstehende begannen laut Augenzeugen mit einer Herzdruckmassage. Der mutmaßliche Täter wurde zu Boden gerungen und von der Polizei festgenommen. Nach dem Anschlag wurde Abe in die Universitätsklinik in der Stadt Kashihara gebracht. Laut dem staatlichen Rundfunksender NHK konnte er in den Minuten nach der Tat noch sprechen, bevor er das Bewusstsein verlor.

Um 12.20 Uhr wurde Abe nach Angaben des Medizinprofessors Hidetada Fukushima mit einem Herzstillstand in die Notaufnahme der Universitätsklinik eingeliefert. „Es wurden Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet. Leider ist er jedoch um 17.03 Uhr gestorben“, sagte Fukushima. Abe sei von zwei Kugeln am Hals getroffen worden.

Der mutmaßliche Attentäter wird überwältigt.
Der mutmaßliche Attentäter wird überwältigt.AP/Katsuhiko Hirano/The Yomiuri Shimbun

In den sozialen Netzwerken kursieren Bilder, welche die vermeintlich selbst gebaute Waffe des Schützen zeigen sollen. Die Waffengesetze in Japan zählen zu den strengsten der Welt.

Außerdem berichtet die japanische Nachrichtenagentur Kyodo unter Berufung auf die Polizei, dass bei der Hausdurchsuchung in den Wohnräumen des Tatverdächtigen ein explosiver Gegenstand gefunden worden sei.

Weltweite Anteilnahme von Regierungsvertretern

Weltweit zeigten sich Politiker und Regierungsvertreter am Freitag bestürzt über den Mordanschlag in Japan und den Tod von Shinzo Abe.

Bundeskanzler Olaf Scholz schrieb auf Twitter, das tödliche Attentat mache ihn tieftraurig. Sein tiefes Mitgefühl gelte Abes Familie und dem japanischen Ministerpräsidenten Fumio Kishida. „Wir stehen auch in diesen schweren Stunden eng an der Seite Japans“, versicherte Scholz.

Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) schrieb auf Twitter, sie sei „schockiert über die Nachricht, dass auf Shinzo Abe geschossen wurde. Meine Gedanken sind bei ihm und seiner Familie“.

US-Außenminister Antony Blinken sagte am Rande des G20-Treffens auf der indonesischen Insel Bali: „Dies ist ein sehr, sehr trauriger Moment.“ Die USA seien „zutiefst besorgt“.

Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich in einem sehr persönlichen Statement zutiefst erschüttert zum Tod des ehemaligen japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe. „Japan und die Welt verlieren mit Shinzo Abe einen großen Staatsmann. Ich verliere mit ihm einen politischen Weggefährten“, schrieb die CDU-Politikerin am Freitag in einer auf ihrer Internetseite veröffentlichten Erklärung.

Abes Wort habe Gewicht gehabt. „Seine Entscheidungen waren verlässlich. Sein Humor half, Widerstände zu überwinden. Er war mir ein enger Kollege und Freund“, betonte Merkel.

Offenbar keine Drohungen gegen Shinzo Abe vor dem Attentat

Abes liberaldemokratische Partei LPD erklärte, dass es vor dem Angriff keine Drohungen gegen den Ex-Regierungschef gegeben habe und dass seine Rede öffentlich angekündigt worden war.

Eine vergleichbare Tat habe sich in Japan zuletzt 1960 ereignet, als ein Anschlag auf den Vorsitzenden der Sozialistischen Partei, Inejiro Asanuma, verübt worden sei, sagte der Politikwissenschaftler Corey Wallace von der Kanagawa Universität. Asanuma war von einem rechtsextremen Studenten erstochen worden.

Nach dem Attentat: Japanischer Wahlkampf wird ausgesetzt

Abe war zunächst von 2006 bis 2007 und dann von 2012 bis 2020 Regierungschef Japans. Er ist damit der Ministerpräsident in Japan, der am längsten regierte.

Am Sonntag sollten in dem Land Wahlen zum Oberhaus des Parlaments stattfinden. Politiker mehrerer Parteien kündigten nach den Schüssen auf Abe an, ihren Wahlkampf auszusetzen. Regierungschef Kishida sagte mit Blick auf die anstehende Wahl, es sei noch „keine Entscheidung“ getroffen worden.

Shinzo Abe: Politische Ausrichtung galt als rechtskonservativ

Abe war überzeugt, dass Japans Verfassung nicht der einer unabhängigen Nation entspricht, da sie 1946 von der Besatzungsmacht USA aufgezwungen worden sei. Es wird erwartet, dass seine Partei LDP bei den Oberhauswahlen einen haushohen Sieg erringen wird und danach die Debatte um eine Verfassungsänderung an Fahrt gewinnen könnte.

Wirtschaftlich wollte Abe mit seiner „Abenomics“ getauften Wirtschaftspolitik aus billigem Geld, schuldenfinanzierten Konjunkturspritzen und dem Versprechen von Strukturreformen Japan aus der jahrzehntelangen Deflation und Stagnation führen. Zwar hat die Nummer drei der Weltwirtschaft unter Abe zwischenzeitlich die längste Wachstumsphase seit Jahren erlebt. Zudem kurbelte er den Tourismus an, der vor der Corona-Pandemie viel Geld ins Land brachte. Gleichzeitig aber habe die „Abenomics“ dazu geführt, dass die Gewinne in den vergangenen Jahren ungleich verteilt worden seien, beklagten Kritiker. Ein Drittel aller Beschäftigten ist ohne Festanstellung.