Jens Spahn: Auf den Covid-Intensivstationen wird es eng
Der Gesundheitsminister wirbt dafür, die Notbremse ab einer 100er-Inzidenz sofort umzusetzen und nicht auf Bundestag und Bundesrat zu warten.

Berlin-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), haben sich auf ihrer wöchentlichen Pressekonferenz besorgt über die aktuelle Entwicklung der Corona-Pandemie in Deutschland gezeigt. Das schnellere Impfen und vermehrte Testen reiche nicht aus, um aktuell die dritte Welle zu brechen, sagten sie. Spahn warb dafür, die Notbremse für Regionen ab einer 100er-Inzidenz sofort umzusetzen, auch ohne Beschluss von Bundestag und Bundesrat. Am Freitag wird im Bundestag über eine Anpassung des Infektionsschutzgesetzes abgestimmt und über eben jene Corona-Notbremse.
RKI-Chef Wieler: Die dritte Welle könnte härter werden als die zweite
Spahn sagte, die Inzidenz liege aktuell bei über 160. Die Befürchtung, dass die zurückgehenden Zahlen über Ostern keine Entwarnung seien, habe sich leider bestätigt. Die Krankenhäuser füllen sich mit Intensivpatienten. Die Lage wird laut Spahn kritischer. Aktuell liegen fast 5000 Menschen auf deutschen Intensivstationen. Intensivmediziner rechnen mit 6000 Intensivpatienten bis Ende April. „Ohne Stopp dieser Entwicklung gerät das Gesundheitssystem an den Rand der Kapazitätsgrenze“, so Jens Spahn. Man müsse den Appell der Mediziner und auch der Pfleger hören.
RKI-Chef Lothar Wieler sagte: „Die Lage in den Krankenhäusern spitzt sich dramatisch zu. Wir müssen jetzt Kontakte reduzieren.“ Die dritte Welle könne härter werden als die zweite. Er forderte alle Politiker und Entscheidungsträger auf, eine Kontaktreduktion jetzt umzusetzen.
Wieler warnte vor allem vor der deutlich ansteckenderen Virus-Variante B. 1.1.7.: Inzwischen seien 90 Prozent der Corona-Fälle mit diesem Virus-Typ infiziert. Noch sei nicht klar, ob Erkrankungen mit B. 1.1.7. auch tödlicher verliefen, sagte Wieler. Allerdings dürfe man den Blick auch nicht nur auf die akuten Fälle lenken: Auch von Covid-19 Genesene litten oft noch lange an den Folgen der Erkrankung.
Nur noch zehn Prozent freie Betten auf den Intensivstationen
Steffen Weber-Carstens, Intensivmediziner an der Berliner Charité, sagte, die Kliniken arbeiteten inzwischen nur noch mit einem Notfallprogramm, Operationen würden, wann immer möglich, verschoben, um auf den Intensivstationen Kapazitäten für Covid19-Patienten zu schaffen. „In den meisten Intensivstationen in Deutschland gibt es nur noch zehn Prozent freie Betten“, sagte der Intensivmediziner. „Das bedeutet oft, dass gerade mal noch ein Bett frei ist.“ Auch werde das medizinische Personal an vielen Stellen knapp. „Wir laufen sehenden Auges in eine Situation der Spitzenbelastung“, so Weber-Carstens. Er sprach sich dafür aus, stabile Kranke rechtzeitig aus Regionen mit akutem Bettenmangel in weniger betroffene Regionen zu verlegen.
Wegen der Schwere der Erkrankungen würden auf den Intensivstationen immer mehr künstliche Lungen benötigt, sagte RKI-Präsident Wieler. Acht von zehn Geräten seien mit Covid-19-Patienten belegt. Darunter seien inzwischen auch viele jüngere Erwachsene.
Kritik an der 200er-Inzidenzgrenze für Schulen
Was den Impffortschritt angeht, zeigt sich Gesundheitsminister Spahn trotz allem zuversichtlich. Inzwischen würden 500.000 bis 700.000 Menschen in Deutschland täglich geimpft. Unter den aktuellen Voraussetzungen rechne er nach wie vor damit, dass allen Erwachsenen bis zum Spätsommer ein Impf-Angebot gemacht werden könne. In der aktuellen Situation reiche die Impfgeschwindigkeit allein aber nicht aus, um die dritte Infektionswelle zu brechen. „Gegen ein exponentielles Infektionswachstum können wir nicht animpfen“, sagte Spahn.
Kritisch äußerten sich Spahn und Wieler zu der in der Bundesnotbremse geplanten Inzidenz-Obergrenze von 200, die gelten soll, bis es zu Schulschließungen kommen müsse. „Aus meiner Sicht ist die 200er-Grenze zu hoch“, sagte Wieler. Je höher die Schwelle sei, desto mehr Kinder werde man wegen Infektionen aus den Klassen nehmen und desto mehr ganze Klassen werde man in Quarantäne schicken müssen. Der RKI-Chef plädierte dafür, Klassen vorzeitig zu entzerren und den Unterricht in größeren Räumen mit mehr Abstand stattfinden zu lassen.
