Steinmeier ist in Kiew unerwünscht
Für Donnerstag hatte der Bundespräsident einen Ukraine-Besuch geplant. Doch offenbar ist er nicht willkommen.

Eine geplante Reise von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Kiew ist geplatzt, weil er dort offensichtlich nicht willkommen ist. „Ich war dazu bereit. Aber offenbar - und ich muss zur Kenntnis nehmen - war das in Kiew nicht gewünscht“, sagte Steinmeier am Dienstag bei einem Besuch in Warschau. Der polnische Präsident Andrzej Duda habe in den vergangenen Tagen angeregt, dass sie beide zusammen mit den Staatschefs der baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland in die ukrainische Hauptstadt reisen, „um dort ein starkes Zeichen gemeinsamer europäischer Solidarität mit der Ukraine zu senden und zu setzen“. Dazu kommt es jetzt nicht mehr.
#Bundespräsident #Steinmeier sichtlich konsterniert dazu, dass er nicht willkommen ist in #Kiew! Wollte mit #Duda und Balten gemeinsam reisen!!! pic.twitter.com/uMuWoGl8nx
— Tina Hassel (@TinaHassel) April 12, 2022
Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hatte bereits am Wochenende deutlich gemacht, dass die Ukraine eher einen Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als von Steinmeier erwartet. Eine Kiew-Reise des Bundespräsidenten hätte nur symbolischen Charakter, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Es sollten lieber der Bundeskanzler oder andere Mitglieder der Bundesregierung kommen, die konkrete Entscheidungen über weitere massive Unterstützung für die Ukraine treffen.“ Die Ukraine fordert die Lieferung schwerer Waffen wie Panzer und Artilleriegeschützen.
Steinmeier hatte bereits am Freitag signalisiert, dass er Reisepläne für Kiew hat. „Selbstverständlich denke ich auch darüber nach, wann der richtige Zeitpunkt ist für meinen nächsten Besuch in Kiew.“ Diese Pläne sind jetzt hinfällig. Und das, obwohl sich westliche Spitzenpolitiker beim ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj inzwischen die Klinke in die Hand geben. Aus Polen, Großbritannien, Österreich, Tschechien, Slowenien und der Slowakei sind bereits die Regierungschefs nach Kiew gereist, um der Ukraine im Kampf gegen die russischen Angreifer den Rücken zu stärken. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war am Freitag dort.
Aus Deutschland trafen am Dienstag drei führende Parlamentarier der Ampel-Koalition in der Ukraine ein - allerdings nicht in der Hauptstadt Kiew, sondern im westukrainischen Lwiw. Dort wollten die Vorsitzenden der Ausschüsse für Auswärtiges, Verteidigung und Europa - Michael Roth (SPD), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Anton Hofreiter (Grüne) - Abgeordnete des ukrainischen Parlaments Rada treffen. Alle drei Politiker hatten zuletzt mehr Tempo bei Waffenlieferungen gefordert.
Es sind die hochrangigsten deutschen Politiker, die seit Kriegsbeginn vor sieben Wochen die Ukraine besuchen. In der vergangenen Woche war bereits der SPD-Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe mit einer Delegation des Europarats dort.
Steinmeier dankt Polen: „Tiefer Respekt“ für Flüchtlingsaufnahme
Steinmeier dankte bei seinem Besuch Polen für die Aufnahme Hunderttausender Flüchtlinge aus der Ukraine und sagte dem EU-Partner dafür weitere deutsche Unterstützung zu.
„Ich empfinde wirklich tiefen Respekt und auch große Dankbarkeit für die großzügige und gut organisierte Aufnahme der Geflüchteten hier in Polen“, sagte er am Dienstag in Warschau nach einem Gespräch mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda. „Ich weiß, dass das nicht einfach ist.“
Es handele sich um einen „enormen Kraftakt“, an dem sich Deutschland weiter solidarisch beteiligen werde, sagte Steinmeier. „Das ist eine gemeinsame Aufgabe für die gesamte Europäische Union und ihre Partner. Wir lassen, das verspreche ich, Polen und die anderen Nachbarn der Ukraine damit nicht alleine.“
Duda, der Steinmeier einen „erprobten Freund Polens“ nannte, bat um Hilfe für die Errichtung eines Finanzfonds für diese Aufgabe. Es gehe um Mittel etwa für Sprachkurse, die gesundheitliche Versorgung oder für Schule und Ausbildung für die Geflüchteten. Steinmeier sagte Polen deutsche Unterstützung dafür zu, weitere EU-Mittel zu bekommen.
Duda verlangte auch eine weitere militärische Unterstützung. „Wir wollen eine stärkere Präsenz der Nato an der Ostflanke haben“, sagte er. Russland habe die Nato-Russland-Grundakte von 1997 völlig zunichte gemacht, diese sei nicht mehr verbindlich. „Die Nato hat keine Verpflichtungen mehr gegenüber Russland. Russland hat gezeigt, dass es keine Pakte und keine Verträge respektiert, die es schließt.“
Nötig seien auch „weitere schmerzhafte Sanktionen gegen das Putin-Regime“, die das Prestige Russlands träfen. Duda nannte zum Beispiel den Boykott russischer Sportvereine und den Ausschluss von Sportveranstaltungen sowie den Entzug der Stimme Russlands in internationalen Gremien.
Duda lehnte eine „Zwangsverteilung“ der aus der Ukraine kommenden Flüchtlinge in der Europäischen Union strikt ab. „Das sind unsere Freunde“, betonte er. Sie müssten die Freiheit haben, dort zu leben, wo sie es wollten. Steinmeier appellierte aber an andere EU-Staaten, noch mehr Engagement bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu zeigen.
Deutliche Unterschiede sichtbar
Bei der gemeinsamen Pressekonferenz von Steinmeier und Duda wurden hinsichtlich der militärischen Unterstützung der Ukraine und der Befreiung von der Energieabhängigkeit von Russland deutliche Unterschiede sichtbar. Duda schilderte, dass Polen Waffenkäufe für die polnischen Streitkräfte plane, um diese zu modernisieren.
Steinmeier wies darauf hin, dass die Bundesregierung bereits Entscheidungen wie das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr getroffen habe, die von Deutschland nicht erwartet worden seien. Zudem liefere man jetzt Waffen nicht nur in ein Spannungs- sondern ein Kriegsgebiet. Auf die Frage, ob dazu künftig auch schwere Waffen wie Panzer gehörten, antwortete Steinmeier ausweichend.
Den Bezug von Öl und Gas wolle Deutschland so schnell wie möglich reduzieren, sagte Steinmeier. „Wir sagen aber auch mit Blick auf unsere Wirtschaftsstruktur, zu der eine starke Chemieindustrie gehört, geht es nicht ganz so rasch wie manche sich das gegenwärtig wünschen.“ Derjenige, der die Sanktionen ausspreche, dürfe sich nicht stärker schädigen als den Sanktionierten.
Duda machte deutlich, dass Polen schon vor Jahren angefangen habe, seinen Energiebezug zu diversifizieren. Er hoffe, dass Polen schon im kommenden Herbst von Gasimporten aus Russland unabhängig sein werde.
