Seelsorger schlagen Alarm: Angst vor Armut wächst

Viele Deutsche haben aufgrund der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs finanzielle Sorgen. Immer mehr Menschen suchen deshalb Hilfe bei Telefonseelsorgern.

Einige Menschen verdienen sich mit Flaschensammeln etwas dazu. Laut Telefonseelsorgern steigt bei vielen die Angst, in die Armut abzurutschen.
Einige Menschen verdienen sich mit Flaschensammeln etwas dazu. Laut Telefonseelsorgern steigt bei vielen die Angst, in die Armut abzurutschen.Imago/Schöning

Angesichts steigender Preise, der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs sind Ängste immer häufiger das Thema in Gesprächen mit der Telefonseelsorge. Zu Beginn des russischen Angriffskriegs hätten die Menschen noch über das Geschehen in der Ukraine gesprochen, derzeit gehe es häufiger um die Folgen, sagte der Beauftragte für Telefonseelsorge der hannoverschen Landeskirche, Daniel Tietjen dem Evangelischen Pressedienst.

Schon der Lebensmitteleinkauf kann zum Problem werden

Im Mittelpunkt der Gespräche stünden nun auch finanzielle Sorgen, wie die Angst, die Gasrechnung nicht mehr bezahlen zu können oder nicht zu wissen, wie man den Einkauf finanzieren soll.

Der Anteil der Gespräche zum Thema Ängste habe sowohl in den Telefon-Angeboten (von 15 Prozent im Januar auf 18 Prozent im Juni) als auch in den Gesprächen per Chat (von 24 Prozent im Januar auf 28 Prozent im Juni) zugenommen, sagte Tietjen. Häufig helfe den Menschen bereits ein anonymes Gespräch, in dem es nicht um konkrete Ratschläge gehe. „Es ist mitunter ja nicht so leicht, über seine Sorgen zu sprechen oder auszusprechen, dass man kein Geld mehr hat, um die Dinge zu bezahlen.“

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In den sozialen Netzwerken wird Alarm geschlagen

Seit Mai 2022 vereinen sich Twitter-Nutzer zu einen "viralen Austand der Armen".  Eine alleinerziehende Mutter mit Pseudonym „Finkulasa“ machte den Anfang und schrieb: „Ich würde mich freuen, wenn ihr mitmacht. Nur ein kleiner Tweet zu euch. Lasst uns zeigen, wer wir sind (nicht zwingend mit Foto!), dass wir KEINE Zahlen sind. Ob H4, Rente, Aufstocker oder oder oder #IchBinArmutsbetroffen“

Daraufhin berichteten weitere Nutzer von ihren persönlichen Problemen und sozialer Ungerechtigkeit. Dabei wird besonders häufig über das tägliche Leben in Armut und die steigenden Preise gesprochen. Bis Juni 2022 entstanden mehr als 100.000 Tweets. Dies löste eine Welle der Solidarität aus. Personen mit mehr Vermögen spendierten Armutsbetroffenen Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs.

Das Prinzip ist einfach: Menschen mit keinem oder geringen Einkommen erstellen eine Amazon-Wishlist, die von öffentlich eingesehen werden kann. Kauft ein Unterstützer ein Produkt, wird es dem Urheber der Wishlist kostenlos zugestellt. Die Kosten übernimmt der Spender.

Betroffene fordern Umdenken

Mittlerweile beschränkt sich der Aufstand nicht nur auf die Netzwelt. In mehreren Städten organisierten Betroffene und verschiedene Initiativen sogenannte Flashmobs. Der Menschenauflauf auf öffentlichen Plätzen soll für mehr Sichtbarkeit und Veränderung sorgen.

In einem offenen Brief fordert eine Initiative von der Politik hauptsächlich die Erhöhung der Regelsätze in der Grundsicherung und die Abschaffung von Sanktionen von Arbeitslosen.