Tödliche Amokfahrt auf dem Kudamm: Gor H. soll schuldunfähig sein

Im Juni rast ein Autofahrer am Kudamm in eine Menschenmenge, verletzt mehrere Personen und tötet eine Frau: Das Berliner Landgericht geht von Schuldunfähigkeit aus.  

Nach der tödlichen Amokfahrt am Berliner Kurfürstendamm im Juni 2022: Dem 29-jährigen Gor H. werden Mord sowie versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. 
Nach der tödlichen Amokfahrt am Berliner Kurfürstendamm im Juni 2022: Dem 29-jährigen Gor H. werden Mord sowie versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Markus Wächter/Berliner Zeitung

Mehr als ein halbes Jahr nach einer Amokfahrt auf dem Berliner Kurfürstendamm mit einer Toten hat ein sogenanntes Sicherungsverfahren gegen den mutmaßlichen Täter begonnen. Statt einer Anklage wurde am Dienstag eine Antragsschrift verlesen. Dem 29-jährigen Gor H. werden demnach ein Mord sowie in 16 Fällen versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

H. fuhr am 8. Juni nahe der Berliner Gedächtniskirche in eine Menschenmenge und erfasste dabei eine Schulklasse aus Hessen. Eine 51-jährige Lehrerin starb, 16 Schülerinnen und Schüler sowie weitere Menschen wurden schwer bis lebensgefährlich verletzt. Er habe die Absicht gehabt, viele Menschen zu verletzen, und „wollte auch tödliche Verletzungen verursachen“, sagte Staatsanwältin Silke van Sweringen.

Laut dem Unfallgutachter Dietmar Severin trat H. vor dem Zusammenstoß das Gaspedal voll durch, so dass der Motor aufheulte. Dann beschleunigte er „durchgängig“. So fuhr der 29-Jährige kurz vor der Kollision auf dem Gehweg den Berechnungen des Sachverständigen zufolge mit 45 Stundenkilometern, danach war er 50 und später 60 Stundenkilometer schnell.

„Der Beschuldigte hat nicht gebremst, sondern ist durchgefahren“, sagte Severin. Einige der Opfer schleifte er demnach einige Meter mit sich, so auch die später getötete Lehrerin. Diese rutschte dann unter das Auto und wurde überfahren, was ihr die tödlichen Verletzungen zufügte. Dass die anderen Opfer überlebten, sei „großes Glück“ gewesen, sagte Severin.

Augenzeugen stoppen Autofahrer, Polizei nimmt ihn fest

Der Kleinwagen kam anschließend im Schaufenster eines Geschäfts zum Stehen, wo der 29-Jährige von Passanten festgehalten und der Polizei übergeben wurde. H. wurde bereits unmittelbar nach der Tat als psychisch krank und mutmaßlich schuldunfähig eingestuft, deshalb vorläufig in einer Psychiatrie untergebracht.

Der am Dienstag verlesenen Antragsschrift zufolge leidet H. seit 2014 an paranoider Schizophrenie, während der Tat soll er sich in einem „akut psychotischen Zustand“ befunden haben. Eine Schuldunfähigkeit lässt sich deshalb nicht ausschließen, weshalb die Staatsanwaltschaft seine dauerhafte Unterbringung anstrebt.

Sein Mandant habe keinen Zugang zum Geschehen und könne deshalb auch nichts dazu sagen, sagte Anwalt Marc Höfler am Rande der Verhandlung. Er bekomme seit Jahren Medikamente. Am Tattag habe er vermutlich nicht ausreichend davon genommen und sei deshalb in den psychotischen Zustand gefallen.

Schuldunfähigkeit: Was bedeutet das?

Nach deutschem Recht kommt im Fall einer Schuldunfähigkeit ein normales Strafverfahren nicht in Betracht. Stattdessen wird in einem Sicherungsverfahren darüber entschieden, ob ein Beschuldigter wegen anhaltender Gefährlichkeit in einer Psychiatrie untergebracht werden soll. Anders als bei einer Haftstrafe ist der Aufenthalt dort zeitlich zunächst nicht begrenzt. Er dauert prinzipiell solange an, wie der Betreffende weiterhin als gefährlich eingestuft wird.

Die Tat hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst. Sie ereignete sich in unmittelbarer Nähe des Breitscheidplatzes, wo bei einem im Namen der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat verübten Anschlag mit einem Lastwagen auf einem Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 zwölf Menschen starben. Für die Verhandlung wurden zunächst Termine bis Ende April angesetzt.