Tödlicher Messerangriff in Brokstedt: Kritik an Behörden wächst

Der Psychiater stellte keine Auffälligkeiten bei dem 33-Jährigen gest. Wenige Tage später erstach er zwei Menschen und verletzte fünf weitere. Mittlerweile sitzt der Mann in U-Haft.

Gedenken an die Todesopfer von Brokstedt. Bei einer Messerattacke in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg sind am Mittwoch zwei Menschen getötet und fünf verletzt worden. 
Gedenken an die Todesopfer von Brokstedt. Bei einer Messerattacke in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg sind am Mittwoch zwei Menschen getötet und fünf verletzt worden. Marcus Brandt/dpa

Wenige Tage vor der tödlichen Messerattacke in in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg ist der mutmaßliche Täter psychiatrisch beurteilt worden - ohne dass dabei besondere Auffälligkeiten festgestellt wurden. Schon im Rahmen seiner knapp einjährigen Untersuchungshaft wegen eines Gewaltdelikts sei er in der Hamburger Justizvollzugsanstalt Billwerder psychiatrisch betreut worden, teilte die Hamburger Justizbehörde am Donnerstag mit. Grund für die Betreuung seien Tätlichkeiten gewesen, in die er zwei Mal während der Haft verwickelt gewesen sei.

„Ein Psychiater hat kurz vor der Entlassung keine Fremd- und Selbstgefährdung festgestellt“, sagte eine Behördensprecherin. Deshalb habe es auch keine belastbaren Anhaltspunkte dafür gegeben, eine rechtliche Betreuung zu beantragen oder den Sozialpsychiatrischen Dienst einzuschalten. „Anders als bei der Außervollzugsetzung eines Haftbefehls bestehen bei der Aufhebung eines solchen keine Möglichkeiten, Auflagen oder Weisungen zu erteilen.“

Nancy Faeser: „Wie konnte es sein, dass ein solcher Täter noch hier im Land war“

Auch am Freitag gibt es weiter offene Fragen zum Umgang der Behörden mit dem zuvor straffällig gewordenen Tatverdächtigen. Die Frage sei, ob die Bluttat, die ein 33-jähriger staatenloser Palästinenser begangen haben soll, hätte verhindert werden können, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in Brokstedt. Aufgeklärt werden müsse, „wie konnte es sein, dass ein solcher Täter noch hier im Land war“.

Der 33-jährige Tatverdächtige war erst vor wenigen Tagen auf Beschluss des Landgerichts Hamburg aus der Justizvollzugsanstalt Billwerder entlassen worden, wo er wegen eines Gewaltdelikts in Untersuchungshaft saß.

Seit seiner Einreise nach Deutschland 2014 war der Mann nach Angaben der Behörden mehrfach mit Gewaltdelikten auffällig geworden. Ein subsidiärer Schutzstatus verhinderte seine Abschiebung.

Haftbefehl gegen Palästinenser war vergangene Woche aufgehoben worden

Das Landgericht Hamburg hatte den Haftbefehl gegen den 33 Jahre alten staatenlosen Palästinenser den Angaben zufolge am Donnerstag vergangener Woche aufgehoben, da eine gegen ihn verhängte, aber noch nicht rechtskräftige Freiheitsstrafe durch die Untersuchungshaft bereits fast vollständig verbüßt war.

Im Verfahren sei es um eine gefährliche Körperverletzung gegangen, sagte Landes-Innenministerin Ministerin Sabine Sütterlin-Waack. Seit 2015 war der Tatverdächtige in Nordrhein-Westfalen und Hamburg mehrfach straffällig geworden, unter anderem wegen Gewaltdelikten. Die Ermittler stünden jetzt in engem Kontakt zu den Behörden in Hamburg, „um mit Hochdruck alle Informationen zusammenzutragen“, betonte Sütterlin-Waack.

Am Mittwoch soll der Mann dann in dem Regionalzug mit einem Messer auf andere Fahrgäste eingestochen haben. Eine 17-Jährige und ein 19-Jähriger wurden getötet, fünf weitere Reisende teils schwer verletzt. Andere Fahrgäste hatten den Angreifer schließlich überwältigt.

Tatverdächtiger hatte Hausverbot in Flüchtlingsunterkunft

Gegen den mutmaßlichen Täter wurde am Donnerstag Haftbefehl wegen zweifachen heimtückischen Mordes und vierfachen versuchten Totschlags erlassen, er kam in Untersuchungshaft, teilte ein Sprecher der für die Ermittlungen zuständigen Staatsanwaltschaft in Itzehoe mit.

Ibrahim A. war nach Behördenangaben im Dezember 2014 nach Deutschland eingereist ist. Bis 2020 sei er in Nordrhein-Westfalen gemeldet gewesen. Von Juli bis November 2021 habe er in einer Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in Kiel gelebt, sagte Zierau. Dort habe er nach mehreren Auseinandersetzungen und Regelverstößen ein Hausverbot erhalten.

Hintergründe des Messerangriffs weiterhin unklar

Die Motive des Mannes seien weiterhin völlig unklar. Für einen terroristischen Hintergrund gebe es „nicht die geringsten Hinweise“, betonte der Leiter der Itzehoer Staatsanwaltschaft, Christian Ohlrogge am Donnerstag.

„Wir haben auch keine Hinweise auf andere Dinge, die ursächlich für diese Tatbegehung gewesen sein könnten. Wir haben auch keinen Hinweise auf eine lange geplante Tatbegehung oder Ähnliches“, fügte der Leiter der für die Ermittlungen zuständigen Staatsanwaltschaft hinzu. Sütterlin-Waack warnte vor „Vermutungen und Spekulationen“, es gebe in den Fall viele offene Fragen. „Ergebnisse einer Vernehmung gibt es noch nicht, so dass wir über Motive nach wie vor nichts sagen können“, sagte die Ministerin vor Journalisten.