Tausende Tote nach Erdbeben in Türkei und Syrien – jetzt drohen Nachbeben und Schneesturm

Am Montagmorgen kam es in der syrisch-türkischen Grenzregion zur Katastrophe. Die Zahl der Toten steigt immer weiter an. Sämtliche Länder schicken Rettungsteams.

Syrien: Ein Mann trägt in Besnia die Leiche eines Kindes. Im Hintergrund suchen Rettungskräfte nach verschütteten Vermissten. 
Syrien: Ein Mann trägt in Besnia die Leiche eines Kindes. Im Hintergrund suchen Rettungskräfte nach verschütteten Vermissten. AP/Ghaith Alsayed

Bei einem verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet sind nach vorläufigen Angaben mehr als 3600 Menschen ums Leben gekommen. Da die Suche nach unzähligen Verschütteten am Montagabend andauerte, wird ein weiterer Anstieg der Opferzahl befürchtet. Die türkische Katastrophenschutzbehörde Afad warnte unterdessen vor weiteren Nachbeben.

Im Katastrophengebiet herrschen Temperaturen um den Gefrierpunkt. Tausende Menschen sind nach Angaben von Hilfsorganisationen obdachlos geworden - und das bei kaltem Wetter. Ein drohender Schneesturm könnte die Situation in den Erdbebengebieten nach Einschätzung der Hilfsorganisation Care noch deutlich verschärfen. Viele Straßen seien nicht passierbar. Die Welthungerhilfe rechnet mit langen Aufräumarbeiten. In betroffenen türkischen Provinzen sind auch Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien.

Weiteres Erdbeben der Stärke 7,5 erschüttert Türkei

Mehr als 15.000 Menschen in der Türkei und in Syrien wurden nach bisherigen Informationen verletzt, hieß es am Montagabend. Nach dem ersten Erdbeben um 04.17 Uhr (02.17 Uhr MEZ) gab es eine große Zahl von Nachbeben. In den Stunden darauf wurde die türkisch-syrische Grenzregion von mehr als 50 Nachbeben erschüttertet. Eines von ihnen hatte die Stärke 7,5. Die Erschütterungen waren bis zum Libanon und Zypern zu spüren - und laut Dänemarks geologischem Institut bis Grönland messbar.

Ein Vertreter der Rettungsorganisation forderte Menschen in den betroffenen Regionen dazu auf, von beschädigten Gebäuden fernzubleiben, wie der Sender CNN Türk berichtete. Mehr als 5600 Gebäude seien bei dem Beben bereits eingestürzt. Auch in Syrien stürzten mehr als 200 Häuser ein.

Bis zum Abend stieg die Zahl der Toten in der Türkei nach Regierungsangaben auf 1762. Präsident Recep Tayyip Erdogan ordnete eine siebentägige Staatstrauer an. Alle Flaggen im Land sollen bis Sonntagabend auf Halbmast gesetzt werden.

In Syrien starben in den von Damaskus kontrollierten Provinzen und in den Gebieten, die unter Kontrolle der Rebellen stehen, insgesamt mindestens 1300 Menschen, wie die Regierung und Rettungskräfte mitteilten. Sie meldeten zudem mehr als 1500 Verletzte. Auch hier waren noch viele Menschen unter den Trümmern eingestürzter Gebäude begraben.

Besonders schwierig war die Lage im syrischen Aleppo. Viele der vom Bürgerkrieg geschädigten Gebäude waren schon vor dem Beben baufällig. Durch das Erdbeben schwer beschädigt wurden nun auch die berühmte Zitadelle sowie mehrere historische Gebäude in der Altstadt von Aleppo, die bereits auf der Unesco-Liste des gefährdeten Weltkulturerbes stehen.

Chelseas vermisster Ex-Profi Atsu wohl lebend gefunden

Der nach der Erdbeben-Katastrophe vermisste Fußball-Profi Christian Atsu ist laut eines Berichts der portugiesischen Sportzeitung „A Bola“ lebend gefunden worden. Der 31 Jahre alte Spieler des türkischen Clubs Hatayspor, der einst für den FC Porto auflief, liege demnach mit einer Verletzung am rechten Fuß und Atembeschwerden im Krankenhaus. Ein Sportjournalist, Saddick Adams, twitterte zudem, dass ein Mitspieler Atsus dessen Management informiert habe: Demnach sei Atsu ins Krankenhaus gebracht worden. Eine Bestätigung des Vereins steht noch aus.

Atsus früherer Club FC Chelsea hatte zuvor getwittert: „Wir beten für Dich, Christian Atsu“. Sein aktueller Arbeitgeber Hatayspor kommt aus der Stadt Antakya an der türkisch-syrischen Grenze. Nur wenige Stunden vor dem Erdbeben hatte Atsu im Süper-Lig-Kellerduell gegen Kasimpasa das Tor zum 1:0-Erfolg erzielt.

Atsu spielte neben dem FC Chelsea und dem FC Porto unter anderem noch für den FC Everton, Newcastle United und den FC Malaga. Der ghanaische Stürmer wurde mit Porto Meister und portugiesischer Superpokalsieger.

Insgesamt drei schwere Erdbeben: Erschütterung in Israel zu spüren

Das erste Erdbeben der Stärke 7,8 hatte am frühen Montagmorgen die Südosttürkei erschüttert. Das Epizentrum lag nach Angaben der Katastrophenschutzbehörde Afad in der Provinz Kahramanmaras nahe der syrischen Grenze. Ein weiteres Beben der Stärke 6,6 sei kurz darauf in der Provinz Gaziantep gemessen worden. Das Geoforschungszentrum Potsdam gab in einer aktualisierten Einschätzung die Stärke mit 7,8 und 6,7 an. Das Beben war nach offiziellen Angaben auch in Israel zu spüren. Neben mehrere Nachbeben folgte dann ein drittes schweres Beben am Montagmittag.

In Diyarbakir tragen  Feuerwehrleute tragen die Leiche eines Opfers. Die Zahl der Opfer steigt immer weiter an.
In Diyarbakir tragen Feuerwehrleute tragen die Leiche eines Opfers. Die Zahl der Opfer steigt immer weiter an.AP/Mahmut Bozarslan

Erdogan: Schlimmstes Erdbeben in der Türkei seit 1939

Auch im Libanon und im Irak bebte die Erde, ebenso auf der nahe gelegenen Mittelmeerinsel Zypern. Nach Angaben von EU-Vertretern war das Erdbeben in der Nacht zum Montag eines der stärksten in der Region in mehr als 100 Jahren. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach vom schwersten Beben seit 1939.

Linken-Chefin Janine Wissler wird Augenzeugin: Lage in der Türkei „chaotisch“

Linken-Chefin Janine Wissler hat die Beben vor Ort miterlebt – und unverletzt überstanden. Die Politikerin hielt sich in der Großstadt Diyarbakir im Osten der Türkei auf, wo sie mit Vertretern der pro-kurdischen HDP-Opposition zusammengetroffen war. „Ich bin aus dem Schlaf gerissen worden, es war ein sehr, sehr heftiges und langes Beben“, sagte sie der Nachrichtenagentur AFP telefonisch. Es seien „ganze Wohnblöcke zusammengestürzt“.

Wissler berichtete, dass auch die Einheimischen ein Beben einer solchen Stärke noch nie erlebt hätten. „Wir müssen raus“, hätten ihre Begleiter ihr in der Nacht im Hotel zugerufen. Alle seien auf die Straße gerannt, „überall Menschen, teils nur in Sandalen, bei Minusgraden“, erzählte sie. Auf der Straße hätten dann alle abgewartet, auch wegen der vielen Nachbeben, die den Ort danach noch erschütterten.

Die Lage war nach Wisslers Worten am Morgen „chaotisch“. Immer noch seien Menschen unter den Trümmern eingeschlossen. Es seien nicht nur kleine Häuser eingestürzt, sondern ganze Blocks. Vor Ort werde dringend Hilfe gebraucht.

Auch Deutschland: Nato-Partner mobilisieren Unterstützung für Türkei

Die Türkei bittet ihre Nato-Partner nach dem schweren Erdbeben um Unterstützung bei den Rettungs- und Bergungsarbeiten. Nach einer am Montag von der Bündniszentrale in Brüssel veröffentlichen Aufstellung braucht sie medizinische Nothilfeteams, notfallmedizinische Ausrüstung sowie Such- und Rettungsteams, die auch unter schweren Bedingungen arbeiten können. Konkret werden zudem drei für extreme Wetterbedingungen geeignete Feldkrankenhäuser und Personal für deren Einrichtung genannt.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte bereits am Vormittag mitgeteilt, Alliierte seien dabei, Unterstützung zu mobilisieren. Er selbst sei in Kontakt mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und Außenminister Mevlut Cavusoglu. Über seine Nachricht setzte Stoltenberg die Worte: „Uneingeschränkte Solidarität mit unserem Verbündeten Türkei nach diesem schrecklichen Erdbeben.“

Mehrere Länder schicken Rettungsteams

Regen, Schnee und Kälte erschwerten die Hilfseinsätze. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte zu, Deutschland werde selbstverständlich Hilfe schicken. „Mit Bestürzung verfolgen wir die Nachrichten vom #Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion“, schrieb Scholz auf Twitter. Deutschland hat angekündigt, das Technische Hilfswerk in die Türkei und nach Syrien zu entsenden.

Mehrere Länder schicken Retter in das Krisengebiet. Eine erste Gruppe von 21 griechischen Rettern mit zwei Spürhunden ist am Montagnachmittag von einem Militärflughafen nahe Athen in die von schweren Erdbeben heimgesuchten Gebiete abgeflogen. Dies teilte der griechische Zivilschutz mit. „Griechenland wird sofort helfen“, hatte zuvor der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis erklärt.

Rumänien hat Katastrophenschützer und Suchhunde zur Rettung möglicher Verschütteter nach den verheerenden Erdbeben in die Türkei geschickt. 60 Retter und vier speziell trainierte Hunde seien am Montag zusammen mit sieben Tonnen Ausrüstungsmaterial in drei Militärflugzeugen vom Bukarester Flughafen Otopeni in die Türkei gestartet, berichteten rumänische Medien unter Berufung auf den Katastrophenschutz. Die Hilfsmission ist mit den Vereinten Nationen abgesprochen und gehört zum EU-Mechanismus für Zivilschutz. Auch Indien hat Hilfstrupps losgeschickt.

Putin telefoniert mit Assad und schickt russische Rettungskräfte

Syriens Verbündeter Russland hat Retter entsendet: In den kommenden Stunden sollen Rettungskräfte vom russischen Zivilschutz nach Syrien geflogen werden, wie der Kreml am Montagnachmittag mitteilte. Präsident Wladimir Putin habe bereits mit seinem syrischen Amtskollegen Baschar al-Assad telefoniert. Auch der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan wolle die russische Hilfe annehmen, hieß es aus dem Kreml etwas später.

Im Bürgerkriegsland Syrien gilt Russland als einer der wichtigsten Verbündeten von Machthaber Assad. Auch Moskau und Ankara haben - trotz einiger außenpolitischer Differenzen - ein enges Verhältnis. Unter anderem unter türkischer Vermittlung kam etwa im vergangenen Juli ein Abkommen zum Export ukrainischen Getreides über einen Korridor im Schwarzen Meer zustande. Im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine war der Getreidetransport zuvor monatelang blockiert gewesen.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat sich bestürzt über das schwere Erdbeben geäußert. „Meine Gedanken sind bei den Angehörigen der Opfer dieser furchtbaren Erdbeben und allen, die um ihre Familie, Freunde, Nachbarn bangen“, schrieb auch Baerbock. „Wir werden mit unseren Partnern rasch Hilfe auf den Weg bringen“, kündigte sie ebenfalls auf Twitter an.

Papst Franziskus betet für die Opfer des Erbebens in der Türkei und in Syrien

Papst Franziskus hat den Opfern der verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet sein Mitgefühl ausgedrückt. Der Pontifex habe mit „tiefer Trauer von dem großen Verlust an Menschenleben erfahren“ und versichere „allen Betroffenen seine spirituelle Nähe“, hieß es in zwei Telegrammen an die diplomatischen Vertretungen des Heiligen Stuhls in der Türkei und Syrien am Montag. Das Oberhaupt der katholischen Kirche bete außerdem für die Rettungskräfte, die an den laufenden Hilfsmaßnahmen und der Versorgung beteiligt sind.

Franziskus zeigte sich tief betroffen über die vielen Todesopfer und bete „von ganzem Herzen für die Seelen der Verstorbenen und für alle, die um sie trauern.“ Er erinnerte insbesondere an das bereits „leidgeprüfte syrische Volk“, für das er den „göttlichen Segen der Stärke und des Friedens“ erbitte

Mehrere Flughäfen bleiben in der Erdbeben-Region geschlossen, Schulen in der ganzen Türkei bleiben zu

Mehrere Flughäfen in besonders von dem Erdbeben betroffen Regionen der Türkei blieben vorerst für zivile Flüge geschlossen. Dabei gehe es um die Flughäfen in Hatay, Kahramanmaras und Gaziantep, sagte Vizepräsident Fuat Oktay. Der Sender CNN Türk zeigte Bilder von einem tiefen Riss in einer Landebahn am Flughafen Hatay. Sportveranstaltungen wurden abgesagt, die Schule in der ganzen Türkei fällt aus.

Ein Auto ist unter den Trümmern eines eingestürzten Gebäudes in der Stadt Azmarin in der nordsyrischen Provinz Idlib zu sehen.
Ein Auto ist unter den Trümmern eines eingestürzten Gebäudes in der Stadt Azmarin in der nordsyrischen Provinz Idlib zu sehen.Ghaith Alsayed/AP

Türkei: Krankenhaus und Wohnhäuser zerstört – 1700 Gebäude eingestürzt

In der Türkei sind nach Angaben des Innenministers mehrere Provinzen betroffen. Mindestens 1700 Gebäude sind eingestürzt. Auf Twitter ist ein Video zu sehen, das einen Hauseinsturz in der türkischen Stadt Şanlıurfa zeigt. 

Das Beben mit über 2000 Toten sei in zehn Provinzen zu spüren gewesen, sagte der türkische Vize-Präsident Fuat Oktay. Unter den eingestürzten Gebäuden sei neben Wohnhäusern auch ein Krankenhaus in der Stadt Iskenderun. In Gaziantep stürzte der Zeitung Hürriyet zufolge eine historische Burg ein.

Vielerorts werden weiterhin etliche Menschen unter dem Schutt vermutet. Im Staatssender TRT war zu sehen, wie Menschen bei Schnee in der Stadt Iskenderun aus Trümmern befreit wurden.

Türkei: Erdbebengefahr ist allgegenwärtig

Die Türkei ist immer wieder von schweren Erdbeben betroffen. Dort grenzen zwei der größten Kontinentalplatten aneinander: die afrikanische und die eurasische. Der größte Teil der türkischen Bevölkerung lebt faktisch in ständiger Erdbebengefahr.

Bei einem der folgenschwersten Beben der vergangenen Jahre kamen im Oktober 2020 in Izmir mehr als 100 Menschen ums Leben. Im Jahr 1999 war die Türkei von einer der schwersten Naturkatastrophen in ihrer Geschichte getroffen worden: Ein Beben der Stärke 7,4 in der Region um die nordwestliche Industriestadt Izmit kostete mehr als 17.000 Menschen das Leben. Für die größte türkische Stadt Istanbul erwarten Experten in naher Zukunft ebenfalls ein starkes Beben.