Toxischer TikTok-Trend: Experten warnen vor „Lucky Girl Syndrome“
Glücksrezept oder Wahnvorstellung? Mit positiven Mantras beschwören junge Frauen auf TikTok den eigenen Erfolg. Psychologen halten das Phänomen für gefährlich.

Ein Trend auf der Video-Plattform TikTok verspricht jungen Frauen den Weg zum ewigen Glück. Demnach werden bestimmte Nutzerinnen, denen etwas Positives passiert, mit dem sogenannten „Lucky Girl Syndrome“ diagnostiziert – viele attestieren es sich selbst. Egal was sie täten, es passiere ihnen immer das Richtige. Expertinnen und Experten sehen das Phänomen kritisch. Wie funktioniert es?
Auf TikTok wird dabei suggeriert, dass beim Einsatz von positiven Affirmationen und Mantras der Erfolg angeblich wie von allein kommt. Dazu gehören Aussagen wie: „Ich bin glücklich“ oder „Ich bin immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort“. Auch, wer einen bestimmten Sound unter die eigenen Video-Clips lege, könne damit seinen Erfolg manifestieren. Darin sagt eine selbstbewusste Frauenstimme auf Englisch: „Ich bekomme alles, was ich will, denn so ist es nun mal. Dinge verlaufen immer zu meinen Gunsten – ich habe so viel Glück.“
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Mit diesen einfachen Techniken der Affirmation könne jede Frau das „Lucky Girl Syndrom“ auch selbst bekommen. Ihre positiven Gedanken sollen dafür sorgen, dass sie in jeglichen Lebenssituationen das Glück anziehen. Der Trend ist dabei zwar nicht ausschließlich, aber vornehmlich ein weibliches Phänomen.
„Lucky Girl Syndrome“ trifft auf Nerv: Hashtag millionenfach genutzt
Die positive Verheißung verfängt bei vielen jungen Frauen. Inzwischen ist der Hashtag #LuckyGirlSyndrome über 500 Millionen Mal auf TikTok gesetzt worden. Manche Nutzerinnen zeigen dabei Beweise, dass der Trend tatsächlich funktionieren würde. Sie zählen Dinge auf, die ihnen passiert sind, seit sie die „Lucky Girl“-Taktik anwenden. So will eine TikTokerin seither bei etlichen Gewinnspielen gewonnen haben. Eine andere sagt, sie habe dank ihrer positiven Affirmationen ihr Traumhaus bekommen oder Geld auf der Straße gefunden.
Andere Videos zeigen, wie sich junge Frauen mit festgeklebtem Lächeln im Gesicht fieberhaft immer wieder die gleichen Mantras vorsagen. „Die Dinge laufen immer gut für mich“, betont eine Nutzerin. Der TikTok-Trend richtet sich somit nach außen – suggeriert also, dass sich mithilfe der positiven Glaubenssätze die Umgebung beeinflussen lässt und nicht nur innere Faktoren, wie der Umgang mit Rückschlägen. Expertinnen und Experten halten den Trend für problematisch.
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Kritik am „Lucky Girl Syndrome“: Positives Denken allein „wenig hilfreich“
Hinter den Affirmationen steht die Idee, dass sich allein durch Gedanken das Leben zum Positiven wenden kann. Der Sozialpsychologe Dr. Aljoscha Dreisörner von der Universität Wien kommentiert das Phänomen gegenüber dem ZDF so: „Das ist meiner Meinung nach gefährlicher Unsinn und gleichzusetzen mit Quantenheilung und Homöopathie.“ Neben den positiven Absichten sei es wichtig, zusätzlich das eigene Verhalten zu ändern, so Dreishörner.
Dass viele Vertreterinnen des „Lucky Girl Syndrome“ der Esoterik nicht abgeneigt sind, lässt sich schnell feststellen. Eine von ihnen wirbt etwa zugleich mit vermeintlich „energetisch aufgeladenem Mondscheinwasser“, um das Glück zu bezwingen.
Wie im Wahn: „Lucky Girl“-Taktik erdrückt negative Gefühle
Problematisch ist zudem laut Kerstin Grenzau, die selbst als Manifestations-Coach tätig ist, dass negative Gefühle bei dem aktuellen Trend als etwas Unerwünschtes gelten. TikTokerinnen zwingen sich laut Grenzau ständig dazu, positiv zu sein. Dieses Verhalten bezeichnet sie als „toxische Positivität“. „Wenn es nicht so läuft, wie ich es mir wünsche, dann kommt eben was Besseres danach“, erläutert etwa eine Vertreterin. Negative Erfahrungen werden so umgehend von positiven Affirmationen erdrückt. Grenzau empfindet das als „wahnhaft“.
Was bei der „Lucky Girl“-Taktik auch völlig außer Acht gelassen wird, sind Faktoren wie strukturelle Ungleichheit, Behinderung oder Krankheit, die Erfolgsaussichten von Menschen in der Gesellschaft maßgeblich beeinflussen. Privilegien werden nicht thematisiert.
