Trotz der Massenproteste: Macron hat Rentenreform fast durchgesetzt
Mehr als zwei Drittel der Franzosen sind gegen die Rentenreform. Der Unmut in der Bevölkerung könnte sich im nächsten Wahlergebnis niederschlagen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat es fast geschafft, woran manche seiner Vorgänger gescheitert sind: Die umstrittene Rentenreform steht kurz vor ihrer Verabschiedung. Mehr als zwei Drittel der Franzosen sind dagegen, mehrfach sind mehr als eine Million Menschen aus Protest auf die Straße gegangen, in Paris wachsen streikbedingte und stinkende Müllberge in den Himmel - doch die Rentenreform scheint kaum noch aufhaltbar.
Für Macron bedeutet sie die Einlösung eines seiner wichtigsten Wahlkampfversprechen. Er denkt zugleich an das politische Erbe, das er am Ende seiner zweiten und vorerst letzten Amtszeit hinterlassen wird.
Doch die Tatsache, dass er die Reform gegen massiven Widerstand der Bevölkerung durchgesetzt hat, dürfte sich an den nächsten Wahlergebnissen ablesen lassen. Die links- und rechtspopulistischen Parteien könnten bei der Europawahl 2024 von dem Unmut vieler Franzosen profitieren.
Rente ab 64 statt ab 67 Jahren – Franzosen sind trotzdem empört
Aus der Perspektive mancher Nachbarländer, in denen längst die Rente mit 67 beschlossen ist, wirken die französischen Massenproteste gegen die Rente mit 64 unverständlich bis grotesk. Doch für viele Franzosen hat das Rentensystem einen hohen Symbolwert.
Das liegt unter anderem daran, dass Franzosen ihre Arbeit häufiger als in anderen Ländern als anstrengend und unangenehm empfinden. Nach einer europaweiten Studie der EU-Behörde Eurofound fühlen sich 40 Prozent der Beschäftigten in Frankreich überlastet, weil die Anforderungen zu hoch sind. In Deutschland sind es nur 24 Prozent.
„Die Managementkultur ist in Frankreich sehr hierarchisch, es gibt weniger Anerkennung, weniger Mobilität“, erklärt Romain Bendavid vom Meinungsforschungsinstitut Ifop. Die Rente gelte vielen daher als wohl verdienter Ausgleich für ein hartes Arbeitsleben.
Rentensystem ist ein Teil des französischen Nationalstolzes
Tatsächlich sind die Bedingungen für die Rente in Frankreich bislang sehr großzügig, weswegen das Rentensystem auch Teil des Nationalstolzes ist. Im Schnitt sind Rentnerinnen und Rentner mit bis zu 75 Prozent ihres früheren Gehalts und weniger Ausgaben besser gestellt als die Beschäftigten.
Nicht einmal fünf Prozent der Menschen, die in Frankreich eine Rente beziehen, leben unterhalb der Armutsschwelle, einer der niedrigsten Werte in den OECD-Ländern. Derzeit scheiden Franzosen im Schnitt mit 60 Jahren aus dem Arbeitsleben aus - auch weil es für Senioren weniger Jobs gibt.
Bei einem Durchschnittsalter von 83 Jahren bedeutet es, dass sie etwa 23 Jahre im Ruhestand leben. Viele Rentnerinnen und Rentner übernehmen zudem große Teile der Kinderbetreuung, da in Frankreich häufiger als in Deutschland beide Elternteile Vollzeit arbeiten.
Rentensystem stammt aus einer Zeit, als die Lebenserwartung geringer war
Macron hat diese Reform dennoch durchgeboxt, weil sie seiner Ansicht nach nötig ist, um das Land zukunftsfit zu machen. Das bisherige System stammt aus einer Zeit, in der die Lebenserwartung deutlich geringer war. Die Regierung hat ausgerechnet, dass die Rentenkasse ohne die Reform bis 2030 ein Defizit von 14 Milliarden Euro anhäufen könnte.
Doch Macrons sonst oft gelobte Überzeugungskünste fruchteten dieses Mal nicht. Er hatte das Feld seiner drögen Premierministerin Elisabeth Borne überlassen, die sich mit der auf Krawall gebürsteten linken Opposition herumschlug. Dabei versäumte die Premierministerin es weitgehend, der Bevölkerung zu erklären, warum die Regierung die Reform für wichtig hält.
Das Reformprojekt litt außerdem darunter, dass die Regierung auf legale Tricks zurückgriff, um die Debattenzeit zu verkürzen. Am Tag vor der möglicherweise endgültigen Verabschiedung waren sechs von zehn Franzosen dafür, die Proteste auch danach fortzusetzen.
Im Vergleich zu der von Gewalt begleiteten Protestbewegung der Gelbwesten in Macrons erster Amtszeit waren die bisherigen Rentenproteste harmlos. Doch wenn der Unmut nicht nachlässt und die Wähler vor lauter Frust zu den Populisten abwandern, dann gehört zu Macrons politischem Erbe möglicherweise auch ein Machtwechsel 2027.
