Sprunghafter Anstieg bei Verbreitung von Kinder- und Jugendpornos in Berlin

Die Zahl der Straftaten in Berlin fiel erstmals seit 2012 unter die Marke von 500.000. Das hat einen bestimmten Grund  - und ist leider keine gute Nachricht.

Iris Spranger (SPD), Innensenatorin von Berlin, beantwortet Fragen zur Kriminalitätsstatistik.
Iris Spranger (SPD), Innensenatorin von Berlin, beantwortet Fragen zur Kriminalitätsstatistik.dpa/Wolfgang Kumm

Berlin-Die Berliner Polizei hat auch im zweiten Pandemiejahr weniger Straftaten registriert. Die Polizei habe im Jahr 2021 rund 482.000 Straftaten erfasst – 4,4 Prozent weniger als im Jahr zuvor, sagte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) bei der Vorstellung der Kriminalstatistik am Freitag in Berlin. Die neue Statistik sei der erste Überblick über einen ausschließlich durch Corona geprägten Zeitraum.

Demnach fiel die Zahl erstmals seit 2012 unter die Marke von 500.000 erfassten Straftaten. Je 100.000 Einwohner wurden 13.158 Taten erfasst – das sei der niedrigste Stand seit der Wiedervereinigung Berlins. Die Aufklärungsquote sank im Vergleich zum Vorjahr von 46,1 Prozent auf 45,3 Prozent, sei aber immer noch der zweithöchste Wert der vergangenen Jahre.

In der Kriminalstatistik sind nur die registrierten Verbrechen erfasst. Taten wie Morde, Überfälle, Einbrüche und Autodiebstähle werden zu einem sehr großen Teil statistisch aufgelistet, weil Opfer sich fast alle bei der Polizei melden. Die meisten Drogendelikte, Ladendiebstähle und Beleidigungen werden aber nicht erfasst. Auch Körperverletzungen, sexuelle Belästigungen und sexueller Missbrauch von Kindern werden oft nicht aufgedeckt – und tauchen deshalb in keiner Statistik auf. Daher ist die Aussagekraft von Kriminalstatistiken nur in bestimmten Bereichen aussagekräftig.

Spranger wies dennoch darauf hin, dass Berlin im Vergleich zu anderen Bundesländern noch ganz oben in der Kriminalstatistik liege. „Das heißt also auch, dass wir noch viel für die Sicherheit der Menschen in unserer Stadt tun müssen“, sagte Spranger.

Betrug mit Corona-Soforthilfen und gefälschte Impfpässe

Die Pandemie mit ihren Lockdowns habe sich ausgewirkt. Allgemein lasse sich sagen, dass sich die Kriminalität aus dem öffentlichen Raum in die Wohnungen und Büros verschoben habe. So habe es weniger erfasste Diebstähle und Einbrüche gegeben, dafür sei mehr betrogen worden, zum Beispiel im Online-Handel. Außerdem gab es einen Anstieg bei Delikten, die es ohne die Pandemie gar nicht geben würde. „So gibt es eine große Zahl von Betrugsfällen bei Corona-Soforthilfen und in Testzentren“, sagte Spranger. Auch gab es mehr Fälschungsdelikte, insbesondere bei dem Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse wie falschen Impfpässen, Testzertifikaten und Genesenen-Bescheinigungen.

Doch Spranger war besonders bei den Corona-Soforthilfen um Einordnung bemüht. So wurden bei insgesamt 362.491 gestellten Anträge 5,256 Milliarden Euro ausgezahlt, wie sich von der landeseigenen Investitionsbank habe sagen lassen. Demgegenüber stehen 9139 laufenden Betrugsverfahren und weitere 9100 noch ausstehende Fälle. Bisher werde ein Gesamtschaden von 121 Millionen Euro geschätzt.

„Alarmierende Zahlen“ bei Verbreitung Kinder- und Jugendpornos

Besonders stark fiel der Anstieg auch bei den Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (plus 33 Prozent) aus. Besonders dramatisch ist die Zunahme bei Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung von kinder- und jugendpornografischer Schriften. Hier wurden Zuwächse von bis zu 192 Prozent verzeichnet.

Gleichzeitig stieg die Aufklärungsquote auf 70,6 Prozent. Polizeipräsidentin Barbara Slowik sprach am Freitag einerseits von „alarmierenden Zahlen“. Andererseits sei es sehr hilfreich, dass amerikanische Provider dazu verpflichtet seien, der ebenfalls amerikanischen halbstaatlichen Organisation „Nationale Center for Missing and Exploited Children“ (NCMEC) strafrechtlich relevante Sachverhalte zu melden. Die NCMEC melde sie dann den zuständigen Behörden im In- und Ausland. So auch denen aus Berlin. „Das ist sehr hilfreich“, sagte Slowik. „Das führt dazu, dass sich Täter nicht mehr so sicher fühlen können.“

Manche Delikte verschieben sich aber auch dank Corona. So sind zwar weniger Fälle von Drogenhandel registriert worden. Slowik geht jedoch davon aus, dass stattdessen sehr viel mehr Rauschgift etwa per Koks-Taxi geliefert wird.

Bei der häuslichen Gewalt misstraut die Polizeipräsidentin den eigenen Zahlen

Besonders groß ist nach Aussage von Slowik das vermutete Dunkelfeld bei häuslicher Gewalt, einer direkten Folge eines Rückzugs ins Private. Die Statistik weist einen Rückgang der gemeldeten Opferzahlen aus. Das gilt insbesondere für die Zahlen der Opfer der innerfamiliären und partnerschaftlicher Gewalt – fast immer sind das Frauen. „Dieser Rückgang macht uns skeptisch“, sagt die Polizeipräsidentin. Organisationen wie Telefonseelsorge oder Gewaltschutzambulanzen berichteten stets von erhöhten Zahlen in der Pandemie. Für Slowik ist klar: „Wir können auf unsere Zahlen nicht bauen.“

Björn Jotzo, innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, fürchtet, dass die Zahlen der Rohheitsdelikte, Diebstähle und auch der politisch motivierten Kriminalität wieder steigen, sobald die Pandemie endgültig beendet ist. „Mit der Hauptstadt wird auch die Kriminalität wieder aus dem Pandemieschlaf erwachen.“

Für Frank Balzer, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, ist vor allem „das Absinken der Aufklärungsquote katastrophal“. Das belaste das Vertrauen in Polizeibehörde und Rechtsstaat. „Das Sicherheitsempfinden vieler Berlinerinnen und Berliner nimmt ab, wenn in unserer Stadt nicht mal jede zweite Straftat aufgeklärt wird.“

Die Polizeigewerkschaft GdP lenkt den Blick auf ein anderes Thema: die Angriffe auf Polizei und Feuerwehr. Insgesamt wurden 8569 Polizisten (plus 1064), 128 Feuerwehrleute (minus 27) und 113 Mitarbeitende andere Rettungsdienste (plus 2) attackiert. Die Zahl der tätlichen Angriffe sei um 35 Prozent gestiegen. 1580 Polizisten wurden dabei verletzt. „Diese Zahlen müssen jedem Demokraten zu denken geben, denn sie offenbaren die sozialen Missstände in unserer Gesellschaft“, sagt GdP-Landesvize Stephan Kelm.