Ukraine: Folterspuren an fast allen exhumierten Leichen in Isjum

Laut dem Gouverneur gibt es bei „99 Prozent“ der Leichen Anzeichen eines gewaltsamen Todes. Die Menschen seien „gefoltert und hingerichtet“ worden.

Forensiker exhumieren die Leichen in Isjum.
Forensiker exhumieren die Leichen in Isjum.AFP/Sergej Bobok

Fast alle der nahe der ukrainischen Stadt Isjum exhumierten Leichen weisen nach Angaben des örtlichen Gouverneurs Anzeichen eines gewaltsamen Todes auf. Der Gouverneur der Region Charkiw, Oleg Synegubow, schrieb am Freitag im Onlinedienst Telegram, dies sei bei „99 Prozent“ der Leichen der Fall. „Mehrere Leichen haben auf dem Rücken gefesselte Hände und ein Mensch wurde mit einem Seil um den Hals begraben“, erklärte Synegubow. Offensichtlich seien diese Menschen „gefoltert und hingerichtet“ worden.

Synegubow veröffentliche auch mehrere Fotos von hunderten Gräbern, die in einem Wald in der Nähe der von ukrainischen Truppen zurückeroberten Stadt Isjum im Osten des Landes entdeckt worden waren. Nach ukrainischen Behördenangaben wurden mehr als 440 Gräber entdeckt, darunter eines mit 17 Soldaten. Die ukrainischen Behörden hatten am Freitag mit der Exhumierung der Leichen begonnen.

Anzeige | Zum Weiterlesen scrollen

Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach nach ersten Exhumierungen von Folterspuren an Leichen. „Das muss die ganze Welt sehen“ schrieb er auf Telegram. Der Präsident teilte dazu Fotos von einer Gräberstätte in einem Waldstück bei Isjum. Die US-Regierung nannte die Leichenfunde „absolut verdorben und brutal“.

Kreuze mit Nummern - Schockierende und abscheuliche Funde

Ersten Erkenntnissen zufolge handelt es sich bei den mehr als 440 Grabstätten in Isjum nicht, wie zunächst angenommen, um ein Massengrab, sondern um viele Einzelgräber: Der Beauftragte der ukrainischen Regierung für die Vermisstensuche, Oleg Kotenko, sagte, die Gräber seien während der Gefechte um die Einnahme Isjums durch Russland im März und während der russischen Besatzung ausgehoben worden. „Ich möchte das nicht Butscha nennen - hier wurden die Menschen, sagen wir mal, zivilisierter beigesetzt“, so Kotenko gegenüber dem TV-Sender Nastojaschtschee Wremja. Die Menschen seien den Untersuchungen zufolge ums Leben gekommen, als Russland die Stadt Ende März heftig beschossen habe. Die Bestatter hätten zum Teil nicht gewusst, wer die vielen Toten seien. Deshalb stünden auf einigen Kreuzen nur Nummern. Die Anzahl der Leichen und ihre Identität ist bislang unbekannt.

UNO will Team zur Prüfung der Vorwürfe nach Isjum senden

Den russischen Streitkräften wird seit Monaten vorgeworfen, in den besetzten Gebieten in der Ukraine zahlreiche Gräueltaten an Zivilisten begangen zu haben. Ende März waren in dem Kiewer Vorort Butscha nach dem Abzug russischer Truppen Hunderte getötete Zivilisten teils mit Folterspuren gefunden worden. Butscha gilt seitdem als Symbol für schwerste Kriegsverbrechen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der am 24. Februar begann.

Die UNO kündigte die Entsendung eines Teams nach Isjum zur Prüfung der ukrainischen Vorwürfe an.

Isjum im Gebiet Charkiw war Ende März von den russischen Truppen erobert worden - in der vergangenen Woche befreite die ukrainische Armee die Stadt. Die EU erklärte, die vom Kreml befehligte Armee hinterlasse „eine Spur von Blut und Zerstörung“ überall in der Ukraine. Auch eine Sprecherin des UN-Menschenrechtsbüros in Genf nannte die Leichenfunde in Isjum schockierend.

Die ukrainischen Behörden hatten in der von russischen Truppen zurückeroberten Region Charkiw nach eigenen Angaben Hunderte Gräber und mehrere Folterstätten entdeckt. In der Stadt Balaklija in der Ostukraine seien während der russischen Besatzung bis zu 40 Menschen in der örtlichen Polizeistation festgehalten, erniedrigt und gefoltert worden, sagte Polizeichef Ihor Klymenko. „Es gab Folter, wir haben an den Händen der Leute Spuren von nackten Elektrodrähten gesehen, durch die bei Verhören Strom geschickt wurde.“ Es seien auch Hämmer und Schlingen gefunden worden. Zehn Folterkammern seien demnach entdeckt worden. In der Stadt Isjum habe es noch sechs weitere Folterorte gegeben, die aber komplett zerstört worden seien.