Seit über sechs Monaten vermisst: Wo ist der Bürgermeister von Cherson?

Die Hafenstadt ist seit November wieder in der Hand der Ukraine. Doch von ihrem Bürgermeister fehlt jede Spur – er wurde vergangenen Juni entführt.

Menschen in der von der Ukraine zurückeroberten Stadt Cherson.
Menschen in der von der Ukraine zurückeroberten Stadt Cherson.Ukraine Presidency/dpa

Die ukrainische Hafenstadt Cherson ist im November vergangenen Jahres durch ukrainische Truppen von russischen Besatzern befreit worden. Doch vom Bürgermeister der Stadt, Ihor Kolychajew, fehlt seit über einem halben Jahr jede Spur. Offenbar wurde er von russischen Besatzern entführt, doch es gibt auch andere Spekulationen über sein Verschwinden, wie der Spiegel berichtet.

Teile Chersons wurden bereits in den ersten Tagen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine eingenommen. Am 2. März meldete das russische Militär, die Hafenstadt vollständig eingenommen zu haben. Ihor Kolychajew bekannte sich weiter zur Ukraine, im April wurden er und seine Mitarbeiter aus dem Amt gejagt, Russland installierte eigene Leute an der Spitze der Stadt.

Ihor Kolychajew soll noch am Leben sein

Das letzte Lebenszeichen des Bürgermeisters gab es am 28. Juni. Dies schildert Kolychajews Sohn Swjatoslaw gegenüber dem Spiegel. Ein Bodyguard soll den Politiker als einer der Letzten gesehen haben. Am Morgen des 28. Juni sollen rund zehn russische Geheimdienstler und Spezialkräfte Kolychajew in ein Gefängnis gebracht haben. Der Bodyguard berichtet von Folter und Brutalität der Russen. Was mit dem Bürgermeister passierte, wisse er nicht. 

„Ich weiß, dass er noch am Leben ist und dass sie ihn nicht nach Russland gebracht haben“, sagt Kolychajews Sohn Swjatoslaw. Offenbar soll sein Vater an das von Russland besetzte Ostufer des Dnjepr gebracht worden sein, in den Ort Holy Prystan. Dies schilderten Personen, die mit ihm festgenommen und mittlerweile wieder freigelassen wurden. 

Doch manche schenken den Schilderungen von Swjatoslaw Kolychajew keinen Glauben. Sie sehen in seinem Vater einen Kollaborateur der Russen, so auch ein Mitarbeiter des geflohenen ukrainischen Gebietsgouverneurs von Cherson.

Swjatoslaw Kolchyajew kämpft derweil weiter für seinen Vater. Regelmäßig schreibt er Briefe an den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und den Uno-Menschenrechtsrat. Auf Nachfrage des Spiegel teilte der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU mit, er könne keine weiteren Informationen über Kolychajew herausgeben, um dem Befreiungsprozess nicht zu schaden.