Wissenschaftler: „Keine evidenzfreie Maskenpflicht“

Das Tragen einer Maske soll im kommenden Herbst wieder großflächig vorgeschrieben werden können. Eine Gruppe von Wissenschaftlern kritisiert das Vorhaben scharf.

Ein Frau mit einer Maske
Ein Frau mit einer Maskeimago

Ab Oktober soll eine Maskenpflicht im Fern- und Flugverkehr sowie eine Masken- und Testpflicht in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen gelten. Zudem sollen die Länder laut geplantem Infektionsschutzgesetz die Möglichkeit haben, die Maskenpflicht in Innenräumen und teils sogar im Freien wieder anzuordnen. Eine Gruppe von Wissenschaftlern kritisiert den Plan der Bundesregierung scharf. Das Schreiben der Wissenschaftler im Wortlaut:

„Wer in einem Rechtsstaat elementare Bürgerrechte einschränken will, muss zunächst die Notwendigkeit dafür nachweisen. In der aktuellen Neuauflage des IfSG kommt der Maskenpflicht als ‚möglichst wenig einschränkende‘ Maßnahme zentrale Bedeutung zu. Experten wie K. Stöhr oder J. Schmidt-Chanasit haben hingegen darauf hingewiesen, dass es keine wissenschaftliche Evidenz für den Nutzen einer Maskenpflicht gibt und diese auch den Empfehlungen wissenschaftlicher Fachgesellschaften widerspricht.

Selbst der Evaluationsbericht einer von der Bundesregierung eingesetzten Expertengruppe konnte keine ausreichenden Belege für eine Wirksamkeit anführen: ‚…denn randomisierte, klinische Studien zur Wirksamkeit von Masken fehlen.‘ Die Wirkung sei v.a. psychologischer Art ‚… da durch Masken im Alltag allgegenwärtig auf die potentielle Gefahr des Virus hingewiesen wird.‘ (S. 87f). In den Formulierungshilfen zum Gesetz (S. 64) wird indes behauptet: ‚Die Studie von Talic et al. (...) stellt auf Basis der Auswertung von sechs Studien (...) fest, dass ein Maskenmandat zu einer Reduktion der Inzidenz um 53 Prozent führt.‘ Der Inzidenzbegriff ist allerdings epidemiologisch inadäquat. Dazu kommt: Keine der Studien lässt diese Schlussfolgerung zu.

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Vier davon basieren auf retrospektiv geführten Fall-Control-Studien, in denen die Daten in nicht verifizierten Telefongesprächen oder Fragebögen eingeholt wurden – darunter wurden drei von den staatlichen Stellen bezahlt, welche auch die Maßnahmen angeordnet haben. Nur die Arbeit von Bundgaard et al. stellt eine prospektive, randomisierte, kontrollierte und damit methodisch verlässliche Studie dar. Deren Ergebnisse allerdings zeigten keinen signifikanten Unterschied zwischen der Gruppe mit und der ohne Maske. Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie grob fehlinterpretierte Studien zur Begründung der Maskenpflicht herangezogen werden.

„Schädigung elementarer Sozialisierungsprozesse bei Kleinkindern“

Wie groß ist der tatsächlich drohende Schaden, der dieses Mittel rechtfertigen soll? International wird Covid-19 inzwischen weitgehend als normales Lebensrisiko eingeordnet. Die Frage der Verhältnismäßigkeit muss daher neu gestellt werden, umso mehr, als eine Maskenpflicht alles andere als ein geringer Eingriff ist. Selbst die Expertengruppe benennt etwa Kopfschmerzen als Folgen. Zahlreiche Studien belegen noch weit gravierendere Gesundheitsgefahren bis hin zu dauerhaften Gehirnschäden durch zu hohe CO2-Konzentration, bakteriellen Entzündungen oder Pilzbefall der Lunge, die strafrechtliche Fragen aufwerfen. Außerdem wurden über rein Physisches hinausgehende Folgen (Traumatisierung/Retraumatisierung, Zwangsstörungen, ethisch fragwürdige Steuerungsmechanismen) bisher in der Debatte völlig ausgeblendet, einschließlich schwerer sozialpsychologischer Schäden (etwa durch gesteigerte Aggressivität) oder der Schädigung elementarer Sozialisierungsprozesse bei Kleinkindern.

Die Maske ist zum Symbol des entleerten Gesichts geworden: nicht mehr Individuen treten auf, sondern es wird eine Masse erzeugt. Die Gesichtsbedeckung steht für den Versuch, das Unkontrollierbare zu kontrollieren und symbolisiert nicht selten eine zunehmende Nähe zum magischen Denken: Auf nicht unmittelbar überprüfbaren Überzeugungen basierendes Verhalten mit Unheil abwehrender Absicht wird in der vergleichenden Religionswissenschaft der Magie zugeordnet (nach B. Malinowski eine anthropologische Konstante).

Ein kommunikativer Kontrollmechanismus, der stark emotional besetzt ist und v.a. soziale Funktion hat: die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, Demonstration von ‚Rechtgläubigkeit‘ sowie die Visualisierung der Bedrohung. Allein schon, um einer derartigen Wahrnehmung der Maskenpflicht entgegenzuwirken, ist dringend davon abzuraten.

„Generelle Zulässigkeit muss infrage gestellt werden“

Und schließlich: Ist eine Maskenpflicht vor dem Hintergrund der jüngsten ‚Maskengates‘ überhaupt noch glaubwürdig? Wenn die Bevölkerung sich fragt, ob die Maßnahmen für Politiker nicht gelten, muss deren generelle Zulässigkeit spätestens jetzt dringend infrage gestellt werden. Offenbar sind Verordnungen auf Basis eines Notstandes zu fehler- und missbrauchsanfällig.“

Autoren: Prof. Dr. Paul Cullen, Dr. Agnes Imhof, Prof. Dr. Boris Kotchoubey, Prof. Dr. Klaus Kroy, PD Dr. Monika Melters, Prof. Dr. Klaus Morawetz, Prof. em. Dr. med. Wolfram Schüffel, Prof. Dr. med. Henrik Ullrich.

Mitunterzeichnend: Prof. Dr. Rainer Baule, Prof. Dr. Kerstin Behnke, Assoc. Prof. Dr. Jan Dochhorn, Prof. Dr. Ole Döring, Prof. Dr. Michael Esfeld, Prof. Dr. Lothar Harzheim, Prof. Dr. med. Sven Hildebrandt, Prof. Dr. Detlef Hiller, Prof. Dr. Georg Hörmann, Prof. Dr. Martin Kirschner, Dr. Sandra Kostner, Dr. Axel Kunze, Prof. Dr. Salvatore Lavecchia, Dr. Christian Lehmann, Prof. Dr. Jörg Matysik, Dr. Christian Mézes, Dr. med. Christian Schellenberger, Prof. Dr. Andreas Schnepf, Prof. Dr. Henrieke Stahl, Prof. Dr. Wolfgang Stölzle, Prof. Dr. Lutz Stührenberg, Prof. Dr. Tobias Unruh, Dr. Christine Wehrstedt, Prof. Dr. Christin Werner, Prof. Dr. Martin Winkler, Prof. Dr. Christina Zenk.