Nicht nur Radio zwischen Wellblechhütten: Afrikanische Künstler und Kulturjournalisten präsentieren ihre Initiativen: Wir sind alle Nigerianer

Goddy Leye war anfangs unsicher, ob die Kunst so weit gehen dürfe. Es ist immer heikel, wenn sich Künstlerprojekte in der Nähe zur Sozialarbeit bewegen. Zumal in Afrika, wo die zeitgenössische Kunst in der Öffentlichkeit so gut wie nicht präsent ist, wo es kaum Ausbildungsstätten für Künstler gibt, so gut wie keine Galeristen und Sammler, geschweige denn staatliche Ausstellungsorte. "Können wir dort Kunst machen", so fragten sich Leye und seine Künstlerfreunde, "wo die Menschen weder Strom und sauberes Wasser noch Medikamente oder Moskitonetze haben?"Leye ging das Wagnis ein, und was er am Freitag an der Universität der Künste zu berichten hatte, war erstaunlich. Der Kameruner, der das Kunstgeschehen im Westen gut kennt und selbst einige Jahre als Stipendiat in Europa verbrachte, lebt und arbeitet heute in Douala, der größten Stadt und Wirtschaftsmetropole des westafrikanischen Landes. In einem armen Vorort startete er im Herbst 2002 mit dem Südafrikaner James Beckett, dem Spanier Jesus Palomino und dem Indonesier Hartanto "Bessengue City".Der größte Erfolg war eine Radiostation, die sie in einem kleinen Raum einrichteten. Das Interesse der Anwohner wuchs so sehr, dass sich das Geschehen rasch ins Freie verlagerte. Es waren Sendungen für die Nachbarschaft, an denen sich zunehmend die Menschen von dort auch beteiligten. Die bescheidene Technik beließen die Künstler vor Ort, bald darauf gründete die Dorfgemeinschaft ein Komitee zur Fortführung der Radiosendungen. "Kunst darf nicht vorgeben, wirklich Probleme zu lösen. Aber sie kann Visionen aufzeigen." Genau das ist, zumindest in Ansätzen, in dem Hüttendorf Bessengue eingetreten. So ließ sich ein örtlicher Architekt bei Neubauten von dem hölzernen Schutzdach inspirieren, das Palomino aus Fundstücken vor Ort errichtet hatte.Elf Initiativen wie diese hat der Berliner Künstler Christian Hanussek ausfindig gemacht, dokumentiert und jetzt in der kleinen, sehenswerten Ausstellung "Gleichzeitig in Afrika..." zur Anschauung gebracht. Übersichtlich sind im Foyer der UdK lokale Interventionen wie die von Leye, aber auch Künstlergruppen sowie vier Kunstzeitschriften aus West- und Südafrika aufbereitet. Am Wochenende gab es dazu einen ganzen Reigen von Veranstaltungen, alle im Rahmen des Afrika-Schwerpunkts der Bundeszentrale für politische Bildung. Künstler und Kulturaktivisten berichteten von ihren Erfahrungen, Goddy Leye und Dominique Zinkpè aus Benin eröffneten eine kleine Werkschau im Deutschlandhaus, während die Fotografen-Gruppe DOF (Depth of Field) aus Lagos ihre Bilder im Potsdamer Einstein Forum vorführte.Den vergnüglichen Abschluss bereitete der charismatische Ntone Edjabe aus Kapstadt, als er die neueste Nummer seiner Zeitschrift "Chimurenga" vorstellte und danach in der "Bar 3" Afrobeat erklingen ließ. "Der Widerstand geht weiter" heißt "Chimurenga" übersetzt, ein Slogan der Siebzigerjahre aus der Befreiungsbewegung in Simbabwe. Das Magazin ist eine Mischung aus Punk-Fanzine und politischem Kampfblatt, in dem rohe grafische Elemente, provokative Fotos und akademisch lange Texte einträchtig nebeneinander stehen. Edjabe verlangt kritische Beteiligung und auch einige Anstrengung von seinen Lesern, es ist alles andere als ein gefälliges Blatt.Auch die "Glendora Review" aus Lagos ist ebenso anspruchsvoll wie kämpferisch, ein Forum für Künstler und Intellektuelle aus ganz Afrika. Herausgeber Olakunle Tejuoso scheut kein Thema im politisch immer noch heiklen Nigeria. Rückhalt bieten seine Buchläden, die alle auch wichtige Treffpunkte des kulturellen Lebens in Lagos geworden sind. Auf höllische Weise hinreißend ist Tejuosos Buch "Lagos. A City at Work", das er druckfrisch nach Berlin mitbrachte. Hinreißende Fotostrecken führen das Chaos in der unregierbaren und nur noch wie durch ein Wunder irgendwie funktionierenden Riesenstadt vor, während lange Expertentexte die Entwicklung zum katastrophalen Moloch nachzeichnen und Verbesserungsmöglichkeiten diskutieren.Ganz Afrika schaut heute gebannt auf diese Stadt, in der eine einst so verheißungsvoll begonnene Moderne in entfesselte Regellosigkeit, Korruption und Gleichgültigkeit mündete - das afrikanische Menetekel. Nicht umsonst heißt die neueste Nummer von Chimurenga "Wir sind alle Nigerianer".Universität der Künste: "Gleichzeitig in Afrika ...". Bis 28. 1., Hardenbergstr. 33, Mo-Sa 14-17 Uhr.Deutschlandhaus: Goddy Leye und Dominique Zinkpè. Bis 12. 2., Stresemannstr. 90, Mo-So 15-19 Uhr.Einstein-Forum Potsdam: Fotografien der Gruppe DOF aus Lagos. Bis 10. 3., Am Neuen Markt 7, Mo-Fr 10-17 Uhr.Lagos. A City at Work kostet 45 Euro. Wie die afrikanischen Magazine erhältlich bei Pro qm, Alte Schönhauser 48.------------------------------Foto: Homosexuelle werden in allen Ländern Afrikas diskriminiert. Grund genug für das Magazin "Chimurenga", ein ganzes Heft dem Thema "Black Gays & Mugabes" zu widmen. Titelblatt vom Mai 2003 mit Foto von Ro- timi Fani-Kayode.