Nirgends ist das Liebesleben der Kraniche besser zu beobachten als im israelischen Hula-Tal: Die stille Jagd

HULALA. Wüsste man es nicht besser, könnte man das Geschrei glatt für den Soundtrack von Hitchcocks "Die Vögel" halten: Die Luft vibriert von vielstimmigem, schrägem Krächzen und schrillem Zirpen. Es sind tatsächlich Vögel, die diese wilde Geräuschkulisse produzieren. Genauer gesagt abertausende Kraniche, die sich in den Feuchtgebieten des Hula-Tals im Norden Israels versammelt haben. Die aber treiben nur Vorfrühlingsgefühle um.Eli hat die Besucher mit seinem Traktor hierher geschleppt. Jetzt sitzen sie auf dem Anhänger in gestaffelten Sitzreihen und fühlen sich inmitten der Sümpfe wie im Theater. Vogelbeobachten ist schwer im Kommen. In den USA zählt es bereits zur Nummer eins unter den Outdoor-Aktivitäten. Auch die Israelis pilgern jedes Wochenende zu Tausenden her, um sich im Marschland rund um den Agmon-See mit dem Fernglas auf die Lauer zu legen. Israel ist eine Drehscheibe in der Vogelmigration. 500 000 Vögel aller Arten machen hier im Herbst und Frühjahr auf ihrer Nord-Süd-Tour eine Zwischenlandung. Das Hula-Tal, eingebettet zwischen Galiläa und Golan, gilt als Mekka der Vogelbeobachter. Kranichen kommt man nirgendwo sonst so nahe. Die langbeinigen, staksigen Gesellen im graubraunen, am Hinterteil meist etwas zerzaust wirkenden Gefieder sind ganz und gar mit ihrer Massenzusammenkunft beschäftigt. In der Welt der Kraniche gehört die zum vorabendlichen Ritual, zumal im Februar, wenn die Jungvögel auf ein Date aus sind. Stets mit von der Partie ist die Kleinfamilie Kranich, meist ein, zwei Junge im Schlepptau. Um sich in dem Gewühl zu versichern, dass alle noch da sind, geben die Familienmitglieder permanent Laut.Eher extravagant ist das Paarungsverhalten der Kraniche, auf das Zev Labinger, ein Ökologe der Israelischen Gesellschaft für Naturschutz, aufmerksam macht. Immer wieder führen männliche Vögel Luftsprünge vor, spreizen die mächtigen Flügel und legen den weiß gefiederten Kopf nach hinten, um die Umworbene zu beeindrucken - oder sich mit dem Rivalen zu messen. Wie beim Pogo der Punks fällt das auch mal ruppig aus. Es geht schließlich um die Wahl fürs Leben. Umso mehr komme es darauf an, meint Zev Labinger, "den bestmöglichen Partner auszuerwählen". Weil das seine Zeit braucht, der Kranich aber nur die kurzen Sommer in Skandinavien oder im Baltikum zum Ausbrüten der Eier und der Aufzucht der Jungen hat, nutzt er zur Partnersuche die letzte Winterstation. Beste Chancen haben gute Sänger und ausdauernde Tänzer. Später geht es gesittet zu, Kraniche sind sich bis ans Lebensende treu. Wegen solcher Nähe zu menschlichen Idealen wird der Kranich in China und Japan als Symbol des Glücks, der Liebe und des Familienfriedens verehrt. Dass die deutsche Lufthansa den Kranich als Logo wählte, hat aber wohl mehr mit seiner schneidigen Flugposition zu tun. Wenn der Kranich unter Ausnutzung thermischer Aufwinde auf seinen Schwingen hochgestiegen ist, liegt sein Körper wie ein aerodynamischer Pfeil in der Luft.Die Abenddämmerung sinkt nieder im Hula-Tal. Die Kraniche bringen sich in Startposition. Binnen einer Viertelstunde schwingt sich ein Schwarm nach dem anderen auf, um im 30, 40 Zentimeter seichten Wasser des Agmon-Sees zu landen. Dort werden sie auf ihren dünnen Beinen bis zum Morgen ausharren, um vor Wölfen und Schakalen sicher zu sein.Eine viertel Million Kraniche gibt es weltweit, die Hälfte davon kommt zweimal jährlich im 177 Quadratkilometer großen Hula-Tal vorbei, ein ursprünglich Malaria-verseuchtes Sumpfgebiet, das durch Kanäle und den künstlich geschaffenen Agmon-See trocken gelegt wurde. Inzwischen ist Hula für Kraniche so attraktiv, dass rund 25 000 von ihnen den ganzen Winter über hier bleiben, statt nach Äthiopien oder Sudan weiterzufliegen.------------------------------LangstreckenfliegerKarte: Kraniche machen sich jedes Jahr im Oktober aus ihren Brutgebieten in Nordeuropa auf den Weg in den Süden. Dabei können sie Tag und Nacht fliegen; sie überqueren so auch das Mittelmeer ohne Zwischenlandung. Die Schwärme fliegen in kraftsparender Keilformation in Flughöhen bis zu vier Kilometer.Das Hula-Tal ist Rastgebiet für 390 verschiedene Vogelarten. Um Schäden in der Landwirtschaft gering zu halten, wurden für die Vögel eigene Erdnuss- und Getreidefelder angelegt. Besucher können die Vogelkolonien von speziellen Aussichtspunkten beobachten, ohne sie zu stören.------------------------------Foto: Gedränge in der Luft und am Boden: Tausende Kraniche bevölkern im Winter das Hula-Tal im Norden Israels.