Nischenparteien: Die zehn kuriosesten Forderungen aus den Wahlprogrammen

 „Förderung des Formationstanzes“

Wer will das: Bergpartei

Das bedeutet es: Die Nutzbarmachung der expressiven Kraft von Tanz und Bewegung als gemeinschaftlich exerzierte Manifestation öko-anarchistisch eingefärbten Linksaußentums.

Braucht Berlin das? Unbedingt. Damit beweist die Bergpartei 1-A-Themengespür für die Musikmetropole Berlin, in der Anfang des Sommers auf dem Tempelhofer Feld ein Tanzflashmob Kate Bushs legendäres Musikvideo „Wuthering Heights“ nachgestellt und in dieser Disziplin den Weltrekord aufgestellt hat.

„Was am besten für den Patienten ist, entscheidet dieser selbst, nicht die Kasse oder der Arzt“

Wer will das: Die Violetten

Das bedeutet es: Jeder bestimmt selbst, ob er sich versichert und wie er die Kosten für Heilung, Linderung oder Vorsorge von Krankheiten tragen möchte. Die Pflicht zur Versicherung über die Kassen wird aufgehoben. Alles in allem: „Wer heilt, hat Recht.“

Braucht Berlin das? Eindeutig ja! So werden die urlangen Warteschlangen vor Berliner Arztpraxen effektiv verkürzt. Das Projekt „Freies W-Lan für Berlin“ ermöglicht zudem rund um die Uhr Selbstdiagnostik, zum Beispiel über gutefrage.net und netdoktor.de. Wer dabei genug autosuggestive Spontanheilung beschwört, therapiert sich sogar die fiesesten Pusteln allein wieder weg.

Mehr Forschung gegen Alterskrankheiten“

Wer will das: Partei für Gesundheitsforschung

Das bedeutet es: In Berlin gehen nicht nur viele Senioren am Stock, sondern auch die Wissenschaft. Also soll ein Prozent des Landeshaushaltes zusätzlich in die Entwicklung von Therapien gegen Alterskrankheit fließen. Die Partei für Gesundheitsforschung befasst sich nicht mit anderen politischen Themen. Diese werden auf die Koalitonspartner ausgelagert.

Braucht Berlin das? Mehr Geld für ein längeres Leben? Fabelhaft. Konsequentes Outsourcing als Leitgedanke in Berlins Gesundheitspolitik? Fabelhaft.

„Modestadt Berlin“

Wer will das: Die PARTEI

Das bedeutet es: Offen sein für „geschmackvolle Modeerscheinungen.“ Dagegen werden „unüberschaubare Modemessen wie z.B. Bread & Butter und Fashion Week aufs Schärfste abgelehnt, da es nicht erforderlich ist, zum Vorzeigen grauer Anzüge den Flächenverbrauch eines mittleren Innenstadtflughafens aufzuwenden. Weniger ist manchmal mehr.“

Braucht Berlin das? Selbstverständlich. Prägende Mode wird in der Haupstadt nicht auf aalig-alerten Trendevents sondern im lässig-urbanen Untergrund entworfen.

„Der ‚Straftäter‘ trägt dazu bei, den von ihm angerichteten Schaden wieder gutzumachen“

Wer will das: Die Violetten

Das bedeutet es: Meditieren, Bewusstsein erweitern, Einsicht zeigen: So sollen Straftäter innerlich reingewaschen und wieder gesellschaftstauglich werden. Wer anderen ein Veilchen verpasst, möge ihm bitte hinterher eines pflücken.

Braucht Berlin das? Jein. So verlockend Soft-Skills im Strafvollzug auch klingen mögen: Das Konzept der angemessenen Wiedergutmachung ist in der Hauptstadt bereits vielgelebte Praxis. Sticker statt Schadenersatz.

„Der Krieg gegen die Stadttauben muss aufhören“

Wer will das: Tierschutzpartei

Das bedeutet es: Dreckig, krank und nervig. Das Image der Stadttaube ist so ätzend wie ihr Kot. Schluss mit dieser Diskrimierung. Die Stadttaube ist ein armes Schwein, wurde sie doch von selbstsüchtigen Züchtern in ihr betrübliches Schicksal als ausgewilderte Brieftaube geschubst. Ergo ist der Mensch auch verpflichtet, sich in aufrechter Verantwortung um sie zu kümmern und sie zu füttern.

Braucht Berlin das? Fraglich. Eine Körner- und Krümeloffensive für noch mehr Geflatter unter Brücken und Bahnhofsdächern? Das will erstmal verdaut sein.

„Für jeden gefällten Baum ein eingeschmolzenes Auto“

Wer will das: Bergpartei

Das bedeutet es: Ein esopolitischer Rechtssatz im biblischsten Sinne, um schändliche Umweltsünden angemessen zu vergelten. Wurzel um Radkappe, Laub um Lichtmaschine. Das Yin und Yang linksgrün-spiritueller Nachhaltigkeitsprinzipien.

Braucht Berlin das? Nichts da. Rau(s)chhafte Tropenwaldrodung führt demnach zu weltweiter Masseneinschmelzung von fahrbaren Untersätzen - und einer verheerenden Schadstoffbilanz von Hochöfen. Stattdessen: Grün erhalten, Emissionsüberschuss vermeiden. Mit einer nur leicht modulierten Forderung stünde ein verführerisch gurrendes Koalitionsangebot an die Taubengroupies der Tierschutzpartei: „Für jeden geretteten Baum ein eingeschissenes Auto.“

„Berlin-Bottle-Days“

Wer will das: Die PARTEI

Das bedeutet es: Alle Berliner stellen an diesen Tagen ihre Pfandflaschenbestände auf die Straßen. Als Hilfe für die Schwächsten der Gesellschaft und auch den eigenen geschundenen Rücken. Der Solidarität und Bequemlichkeit wegen.

Braucht Berlin das? Ein brillanter Einfall. Berlin ist in der Feiertagsbilanz aller Bundesländer seit jeher benachteiligt. Ernennen wir den 1. Mai zur Pfandflaschen-Weihnacht.

„Altersgerechte Sexualerziehung ohne Lobbygruppen im Unterricht“

Wer will das: Alternative für Deutschland (AfD)

Das bedeutet es: Flucht in bildungspolitische Prämissen ganz im reaktionären Mief einer 50er-Jahre-BRD und Diskriminierung sexueller Minderheiten als vermeintlich eigennützig und klandestin operierende „Lobbygruppen“, deren Orientierungen in ein- und demselben Wahlprogramm noch eine Seite zuvor in vermeintzlich weltoffener Manier als „selbstverständlicher Bestandteil der Bandbreite menschlicher Sexualität“ beschrieben werden.

Das alles unter dem Vernunft vorgaukelnden Scheinargument Schulkinder nicht „überfordern“ oder gar „frühsexualisieren“ zu wollen. Homo-Stimmen für die AfD: Nimmt man dort gerne. Aber Homo-Ehe und realitätskonforme Aufklärung bitte nicht. Angsterfüllter Populismus, der häufiger das Ufer wechselt als die Fähre am Wannsee.

Braucht Berlin das? Dazu nur so viel: Berlin ist und bleibt…

„Volksvertreter müssen ethisch gefestigt und kompetent sein“

Wer will das: Menschliche Welt

Das ist gemeint: Politiker sollen integer sein, gütig, vernünftig und mutig. Ihr Handeln muss der Wahrheit und dem Wohl aller gewidmet sein. Wer nach der Wahl gegen sein Wahlprogramm handelt - und wenn dies vor Gericht so geurteilt wird - sollte seines Amtes enthoben werden.

Braucht Berlin das? Nein, weil weltfremdes Gewäsch. Affären, Korruption, Intrigen. New York, Chicago, Gotham City. Legendäre Städte leben von legendären Geschichten. So steigt eine Biedermeier-Metropole zur glamourösen Weltstadt auf, in der sich die globale Führungselite gerne zeigen mag. Während sich Berlin in zäher Bräsigkeit an nicht enden wollenden Debatten etwa um die längst überfällige Legalisierung weicher Drogen abarbeitet, berauscht man sich anderswo reuelos und ungeniert am Hochgefühl der Macht.