NSU-Prozess: Aktivistin in der rechten Szene
Es war eine für Strafprozesse ungewöhnliche Szene: Am ersten Verhandlungstag im Münchner NSU-Prozess begrüßte die Karlsruher Anwältin Nicole Schneiders ihren Mandanten, den als Mordhelfer angeklagten Ralf Wohlleben, mit einem Küsschen auf die Wange. Dass dies so demonstrativ vor den Kameras erfolgte, war nicht zufällig. Die Anwältin verstärkt damit in aller Öffentlichkeit den Eindruck, dass dieses Verfahren vor dem Münchner Oberlandesgericht für sie nicht nur ein professionelles Mandat ist, sondern sie mit der radikalen rechten Szene in Verbindung steht.
Das belegt auch die rund 1 500 Seiten umfassende Verfassungsschutzakte über Schneiders, die seit nunmehr fast 19 Jahren im Stuttgarter Landesamt (LfV) geführt wird. Die Berliner Zeitung konnte in diese Akte Einblick nehmen. Rund 240 Berichte von V-Leuten aus der Szene sind darin gebündelt. Wenn sie zutreffen – und zumindest das LfV hat am Wahrheitsgehalt der Informationen seiner Zuträger keinen Zweifel aktenkundig gemacht – , dann ist die Anwältin seit zwei Jahrzehnten in allen wichtigen neonazistischen Zusammenschlüssen im Raum Karlsruhe aktiv gewesen.
Schneiders wollte sich auf konkrete Nachfragen zu ihren Aktivitäten in der rechten Szene nicht äußern. „Ob und wann und wo ich an Veranstaltungen teilgenommen habe oder nicht, ist meine Privatsache. Hierzu werde keine Stellungnahme abgeben. Ich bin seit mehr als 10 Jahren nicht mehr politisch in irgendeiner Richtung aktiv“, teilte sie schriftlich mit. Die Akte des Stuttgarter Verfassungsschutzes legt allerdings eine andere Einschätzung nahe. Den darin enthaltenen Berichten zufolge unterhielt Schneiders noch im Jahr 2011 Verbindung zu der Neonazi-Organisation „karlsruher//netzwerk“. Im Februar 2011 war sie der LfV-Akte zufolge bei einem von dieser Gruppe organisierten Fußballturnier für die rechte Szene dabei. Das regelmäßig stattfindende Turnier nennt sich „Swastika-Cup“ – mit dem aus dem Sanskrit stammenden Wort „Swastika“ wird im englischen und französischen Sprachraum das Hakenkreuz der Nazis bezeichnet.
Schon vor 2011 nahm Schneiders laut LfV-Akte regelmäßig an Zusammenkünften des Netzwerks teil, um dort Rechtsschulungen durchzuführen. Zuletzt berichtete ein V-Mann (VM) von einem entsprechenden Auftritt der Anwältin am 4. Dezember 2010 in einer Kleingartenanlage am Durlacher Autobahnkreuz in Karlsruhe. „In einem Rollenspiel, bei dem es um das Auffinden einer 1,5 Meter großen Hitlerbüste ging…, wurde dargestellt, welche Fehler die von den Polizeimaßnahmen betroffenen Personen begehen können bzw. wie sie sich gegen das Vorgehen der Polizei bestmöglich zur Wehr setzen können“, heißt es in seinem Bericht. Anschließend habe Schneiders Tipps gegeben, „wie man sich vor zuviel Neugier der Beamten bei Durchsuchungen schützen kann“.
Den LfV-Erkenntnissen zufolge erschöpfte sich Schneiders’ Mitwirkung an den Aktivitäten des Neonazi-Netzwerks, das auf seiner Internetseite seine Solidarität mit dem verurteilten Holocaust-Leugner Horst Mahler erklärt, aber nicht nur in der Rechtsberatung. Vor dem „Rudolf-Heß-Aktionswochenende“ Ende Juli 2010 war sie laut VM-Bericht „sowohl für die Formulierung (der) Pressemitteilung als auch für die Gestaltung der Demo-Anmeldung … verantwortlich“. Auf konkrete Nachfrage hierzu äußerte sich Schneiders nicht.
Die laut VM-Bericht 2010 von ihr verfasste Pressemitteilung war vor dem Heß-Wochenende von den Neonazis ganz gezielt in die Briefkästen politischer Gegner gesteckt worden, um Gegenreaktionen zu provozieren. „Mit der öffentlichen Bekanntmachung der Demonstration wird … das Ziel verfolgt, ,die Linken mit Futter anzuziehen und Rudolf Heß endlich mal wieder groß in die Presse zu bringen‘“, heißt es in dem VM-Bericht.
NPD-Funktionärin in Jena
Die ersten VM-Berichte in Schneiders’ LfV-Akte stammen vom November 1994. Demnach nahm sie damals an Treffen von Rechtsextremisten, unter anderem im Heilbronner Szenelokal „Keller“, teil. 1995 tauchte sie laut Akte bei Veranstaltungen der Europaburschenschaft Arminia Zürich zu Heidelberg (EBA) auf. Die EBA wurde wegen ihres offenen positiven Bezugs auf die NSDAP selbst in Nazi-Kreisen als „vergessene Ortsgruppe der NSDAP“ verspottet.
Ab Juni 1996 ging sie der LfV-Akte zufolge regelmäßig zu den Treffen eines rechtsextremen Debattierklubs um den Neonazi Michael Dangel in Heilbronn. Die Gruppe, die als „Geheimbund“ benannt wird und im Verfassungsschutzbericht 1996 auftauchte, verstand sich als eine Art Unterstützerverein der Republikaner. Dangel verfolgte allerdings einem VM-Bericht zufolge mit der Gruppe das Ziel, die Partei zu unterwandern und „brauner“ zu machen.
Nach der Auflösung des „Geheimbundes“ im Jahr 2000 schloss sich Schneiders laut LfV-Akte der Neonazi-Kameradschaft Karlsruhe an. Die als gewalttätig eingeschätzte Gruppierung pflegte Umgang mit Aktivisten der militanten rechten Organisationen Hammerskins und Blood&Honour. In VM-Berichten aus den Jahren 2001 bis 2008 wird sie regelmäßig als Teilnehmer von Kameradschaftstreffen erwähnt.
Selbst als sie 2000/2001 zwei Jahre in Jena studierte, riss der Kontakt zu den Karlsruher Neonazis nicht ab. In Jena baute sie zusammen mit Ralf Wohlleben den NPD-Kreisverband auf, deren stellvertretende Vorsitzende sie zeitweise gewesen sein soll. Am 11. Dezember 2004 gehörte Schneiders laut LfV-Akte einer etwa 80-köpfigen Delegation deutscher Neonazis an, die im schwedischen Salem an einem Trauermarsch für einen 2000 getöteten Rechtsextremisten teilnahm. Zu dieser Zeit soll sie einem VM-Bericht zufolge ein Referendariat am Landgericht Karlsruhe absolviert haben.
Die LfV-Akte legt auch nahe, dass Schneiders ab 2003 im „Aktionsbündnis Rhein/Neckar“, einem Zusammenschluss mehrerer süddeutscher Nazi-Kameradschaften nach dem Vorbild des „Thüringer Heimatschutzes“, aktiv war. Dort soll die damals angehende Anwältin Rechtsschulungen durchgeführt haben.
Angesichts Schneiders’ Aktivitäten in vielen maßgeblichen neonazistischen Organisationen der Region ist es nicht verwunderlich, dass es am 18. November 2003 zu einem Werbungsversuch durch das Stuttgarter LfV kam. Laut Aktenlage lehnte Schneiders seinerzeit jedoch das Ansinnen der Behörde auf Kooperation ab.