NSU-Prozess: Jeden Tag der Wahrheit ein Stück näher

MüncheN „Und dann ist Frau Zschäpe gekommen?“, fragt Richter Manfred Götzl den Angeklagten Carsten S.. Er will nun noch einmal genauer wissen, wie es war, als der Angeklagte im Frühjahr 2000 in Chemnitz die später für neun Morde gebrauchte Waffe an Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt übergab, als sie Carsten S. etwas von einer „Taschenlampe“ erzählten, die sie angeblich in Nürnberg „aufgestellt“ hatten.

Es könnte sich dabei um einen Sprengstoffanschlag aus dem Juni 1999 handeln, bei dem in einem türkischen Lokal ein Reinigungsmann schwer verletzt wurde. Die Bundesanwaltschaft prüft den Fall. Bisher war die Tat nicht dem NSU zugeordnet worden. Carsten S. hatte am Vortag behauptet, Beate Zschäpe sei nur kurz zu der Runde in Chemnitz gestoßen, habe jedoch nichts von Nürnberg wissen sollen.

Er sei verwirrt gewesen, sagt Carsten S. , als Mundlos und Böhnhardt ihm dann noch sagten, sie seien immer bewaffnet. Wieso sollte er ihnen dann eigentlich die Ceska besorgen? Carsten S. fügte seiner Aussage dann noch ein weiteres, ihn möglicherweise belastendes Detail hinzu: Demnach hatte er doch erwogen, die bestellte Pistole ohne den mitgelieferten Schalldämpfer zu übergeben, „damit die nicht auf dumme Gedanken kommen“.

Dann aber habe er entschieden: „Da wird nichts passieren.“ Und der Anschlag hatte offenbar „nicht geklappt“. Darauf habe er sich „ausgeruht“ und sich „jahrelang nichts weiter“ gedacht. Immer landet Carsten S. an diesem Punkt: Er tat, was man ihm sagte, er fragte nie nach. Aufgemerkt habe er allerdings, als er das Geld für die Waffe bekam, in Originalbanderolen der Bank. Es waren kleine Scheine. Da habe er „darüber nachgedacht, ob die aus einem Banküberfall“ sind, sagt er.

Immerhin erzählt Carsten S. nun weitaus mehr als in bisherigen Vernehmungen. Dass er eine hohe Strafe riskiert, nimmt er in Kauf. Er will niemanden mehr schützen: nicht seine Familie nicht die neonazistische Szene, die mehrere Jahre lang seine Heimat war, nicht die Mitangeklagten. Richter Götzl zeigt sich weiterhin sehr interessiert am Verhältnis von Carsten S. zu Ralf Wohlleben, für den zu Beginn des Prozesses einmal das Wort „Mentor“ gefallen war. Allerdings war Wohlleben wohl mehr eine Art Instruktor. Er delegierte die Jobs, Carsten S., der ihn bewunderte, führte sie aus.

Carsten S. sagt, er habe gewusst, dass Wohlleben Vater geworden sei. Deshalb habe er immer darauf geachtet, Wohlleben nicht zu belasten, um den Kindern „nicht den Vater zu nehmen“, sagt er. „Das ist so in meinen Strukturen.“ Allerdings saß Wohlleben bereits im Gefängnis, als Carsten S. verhaftet wurde. „Ja“, räumt Carsten S. ein, die Rücksichtnahme sei wohl von heute aus gesehen „idiotisch“, das müsse er nun mit sich selbst ausmachen.

Längst in ein anderen Stadium

Der NSU-Prozess ist längst in ein anderes Stadium getreten, als die Öffentlichkeit nach dem hysterischen Beginn vermuten konnte. Statt fünfzig Kameras steht auf dem Vorplatz des Oberlandesgerichts nur noch ein einziges einsames Stativ, im Saal klaffen Lücken auf der Besuchertribüne. Richter Götzl hat das Verfahren nach dem anfänglichen Antragspoker in einen wenig spektakulären Zustand überführt.

Es wird zäh um Details gerungen. Mögen manche Kleinigkeiten zunächst auch abwegig scheinen, man hätte mitunter Hoffnung, der Wahrheit tatsächlich jeden Tag ein Stückchen näherzukommen. Doch noch ist da die grundsätzliche Weigerung von Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben, überhaupt auszusagen.

Vorläufig hat die Bundesanwaltschaft nur wenige Fragen. Die Tonlage verschärft sich. Die Antworten von Carsten S. zeugen von seinem eher schwammigen Verhältnis zur Ideologie: Gerne sang er rechtsradikale Songs mit und fand Aufkleber mit dem Slogan „Bratwurst statt Döner“ „lustig“. „Ich stand da schon dahinter!“ , sagt er. Ob er eine bestimmte Ausländergruppe besonders gehasst habe? „Nicht, dass ich wüsste!“ Es sei schwer, sagt Carsten S., sich nach all den Jahren „in so was wieder reinzuversetzen“. Es klingt, als sei sein Rechtsradikalismus lediglich eine Art kurze Durchgangsstation gewesen. Entschuldigen freilich tut das nichts.