NSU-Terror: Viele Fragen, wenige Antworten
Auf den Tag genau drei Jahre ist es jetzt her, dass sich die rechte Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) selbst enttarnt hat: In einem brennenden Wohnmobil in Eisenach liegen die Leichen von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos; in Zwickau explodiert wenige Stunden später die Wohnung, in der die beiden Toten mit Beate Zschäpe seit dreieinhalb Jahren lebten. In Fahrzeug und Wohnung werden anschließend die Tatwaffen von zehn unaufgeklärten Morden, Beute aus ebenfalls ungeklärten Banküberfällen und mehrere DVDs gefunden, auf denen sich die bis dahin unbekannte Organisation NSU zu einer Mordserie bekennt.
Zufall? Oder Teil einer Inszenierung?
Den deutschen Sicherheitsbehörden fiel an diesem Tag die Aufklärung einer terroristischen Verbrechensserie in den Schoß, von deren Existenz sie bis dato gar keine Ahnung hatten. Zufall? Oder Teil einer Inszenierung, die weitergehende Zusammenhänge verbergen soll?
Tatsächlich finden sich in den Verfahrensakten mehrere, von der Bundesanwaltschaft allerdings nicht konsequent weiterverfolgte Spuren, die auf weitere NSU-Mittäter hinweisen. Ungeklärt ist etwa, wer Zschäpe offenbar gegen 14.30 Uhr über den Tod ihrer beiden Freunde informierte. Offen ist auch die Frage, was Zschäpe tat, nachdem sie die Todesnachricht erhielt. Aus einem Brandgutachten geht hervor, dass sie unmittelbar nach 14.30 Uhr damit begonnen haben muss, in der gesamten Wohnung zehn Liter Benzin auszuschütten. Doch erst gegen 15 Uhr, kurz vor der Explosion, verließ sie die Wohnung fluchtartig – worauf hatte sie gewartet?
Und wo hielt sie sich auf, bevor sie sich am 8. November in Jena der Polizei stellte? An ihren Kleidungsstücken wurden keine Rückstände des Kraftstoffs aus der Wohnung gefunden – was laut Gutachten aber der Fall hätte sein müssen. Konnte sie bei Mitwissern ihre Kleidung wechseln – vielleicht in Eisenach? Eine Zeugin will Zschäpe am Tag nach dem Tod der Freunde dort gesehen haben; speziell geschulte Mantrail-Hunde konnten zudem ihre Witterung aufnehmen und führten die Beamten von dem Ort, wo das Wohnmobil brannte, in die Nähe der Wohnung eines Eisenacher Neonazis.
Wie wurde das Feuer entfacht?
Auch die Ereignisse im Wohnmobil geben nach wie vor Rätsel auf. Wie wurde das Feuer entfacht? Einer der beiden Polizeibeamten, die Schussgeräusche in dem Wohnmobil hörten, will drei Sekunden nach dem letzten Schuss eine Stichflamme an einem der Fenster gesehen haben. Kann ein angeblich von Mundlos hastig angezündeter Papierstapel in einem geschlossenen Fahrzeug nach wenigen Sekunden eine Stichflamme verursachen? Erstaunlich ist auch, dass die Seitentür des Wohnmobils nicht abgeschlossen war – erwarteten die beiden Bankräuber einen Vertrauten und glaubten, als die Polizisten auftauchten, sie seien verraten worden?
Zu den Merkwürdigkeiten der Ereignisse rund um den 4. November gehören auch die Fehler der Spurensicherung. Die Experten vom Thüringer Landeskriminalamt fanden im Wohnmobil weder im November noch bei einer speziellen Nachsuche im Dezember 2011 Geschossteile einer angeblich von Mundlos und Böhnhardt aus dem Fahrzeug heraus auf die Polizeibeamten abgefeuerten Patrone. Erst als sich im März noch einmal Spurenexperten vom Bundeskriminalamt über das Wohnmobil hermachten, tauchten plötzlich doch Projektilteile auf – sie lagen laut Ermittlungsbericht auf dem Fahrersitz und steckten in einem Fensterrahmen. Ob sie aber aus einer der im Fahrzeug gefundenen Patronenhülsen stammten, ließ sich nicht mehr feststellen. Dennoch wertet die Bundesanwaltschaft die nach fünf Monaten gefundenen Projektilteile als Beweis dafür, dass aus dem Wohnmobil heraus auf die Polizisten geschossen worden war.
Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hatte es bis August 2013 nicht mehr geschafft, die Widersprüche rund um den 4. November 2011 aufzuklären. Ein neuer Ausschuss, dessen Einsetzung 2015 immer wahrscheinlicher wird, dürfte sich auch diesem Thema widmen, und der Frage, ob sich hinter dem NSU nicht doch eine größere – noch existierende – Terrorstruktur verbergen könnte.