NSU-Untersuchungsausschuss: Auf Thüringen lastet schwere Schuld

Die Mordserie der rechten Terrorzelle NSU hätte nach Einschätzung des Thüringer Untersuchungsausschusses verhindert werden können, wenn die Ermittlungsbehörden nicht so gravierende Fehler begangen hätten. Es habe Ende der 1990er-Jahre „Fehlleistungen in erschreckendem Ausmaß“ bei der Fahndung nach den drei Hauptverdächtigen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gegeben. Sie hätten das Untertauchen der mutmaßlichen Haupttäter 1998 begünstigt, sagte die Vorsitzende des Thüringer Landtagsausschusses, Dorothea Marx (SPD), am Donnerstag in Erfurt.

Sie sprach bei der Vorstellung des 1800 Seiten starken Abschlussberichts von einem Desaster und umfassendem Versagen. „Das ist die schwere Schuld, die auf Thüringen lastet.“ Die drei mutmaßlichen Haupttäter Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe stammen aus Thüringen.

Entschuldigung bei den Opfern

Im Namen des Landtags bat Parlamentspräsidentin Birgit Diezel bei den Angehörigen der zehn Mordopfer und den Verletzten der Kölner Sprengstoffanschläge um Entschuldigung. „Wir bitten Sie für die Verdächtigungen und für die lange Zeit fehlende Empathie um Verzeihung.“

Marx bekräftigte angesichts der Fehlleistungen den Verdacht, dass der Verfassungsschutz die Fahndung nach den Neonazi-Terroristen regelrecht sabotiert haben könnte, um seine Quellen und V-Leute aus der rechten Szene zu schützen. „Es ist ein Skandal, dass sich andere Behörden damit abgefunden haben. Hinweise hätten weitergegeben werden müssen“, sagte Marx.

Wenn die Ermittler bereits nach einem Sprengstoff-Fund 1998 in Jena richtig gehandelt hätten, wäre „der weitere Verlauf mit hoher Wahrscheinlichkeit anders gewesen“, sagte die SPD-Politikerin. Sie hätten Böhnhardt bei der Durchsuchung aber ziehen lassen. Fehlleistungen bescheinigt der Ausschuss nicht nur dem Verfassungsschutz, sondern auch Polizei und Staatsanwaltschaft.

So trage das Landesamt des Verfassungsschutzes eine zentrale Verantwortung für das Behördenversagen. Zentrale Figuren der Neonazi-Szene seien als V-Leute mit „übermäßig hohen Prämien“ finanziert worden. Wichtige Informationen seien nicht an die Polizei weitergegeben worden, was der Geheimdienst mit dem Schutz seiner geheimen Zuträger begründet habe, so der Abschlussbericht. Die Polizei wiederum habe den Organisationsgrad und die Gefährlichkeit der rechtsextremen Szene nicht durchschaut. Das Landeskriminalamt wurde nach Überzeugung des Ausschusses von wichtigen Informationen abgekoppelt und möglicherweise vorsätzlich ausgebremst. Ein Zielfahnder sagte als Zeuge vor dem Ausschuss, er habe etwa die Liste mit den Namen von Unterstützern, die in der Garage von Mundlos gefunden worden war, nie zur Verfügung gehabt.

Der rechtsextremen Terrorzelle NSU werden Morde in der Zeit von 2000 bis 2007 zur Last gelegt – vorwiegend an Migranten sowie an der aus Thüringen stammenden Polizistin Michèle Kiesewetter. Der Thüringer Ausschuss setzt in dem Bericht Fragezeichen hinter die Auffassung der Bundesanwaltschaft, Kiesewetter sei 2007 ein „Zufallsopfer“ des NSU gewesen. (dpa)