Olympia war das Ziel - schon vier Monate vorher wissen vier Athletinnen, dass sie vergeblich darauf hingearbeitet haben: "Und jetzt die Verletzung. Tja"

Denkt man als Sportler in Olympiaden, also in Vierjahres-Rhythmen?Monique Riesterer (Gewichtheberin): Eindeutig ja. Natürlich sind Weltmeisterschaften auch etwas Besonderes, aber ich glaube, die Olympischen Spiele kann man nicht toppen. Was ist das Besondere an Olympia? Rita König (Fechterin): Fechten ist eine Randsportart, und bei Weltmeisterschaften kommen nur 1 000 Zuschauer. Bei Olympia dagegen ist ein Rieseninteresse da. Es herrscht eine ganz andere Atmosphäre. Außergewöhnlich.Riesterer: Wenn man sonst immer vor 200 Leuten in der Bundesliga auftritt und dann auf einmal vor 5 000 Leuten, wie in Sydney, dann blüht jemand wie ich auf der Bühne auf. Diese 5 000 Leute sind gekommen, nur um meinen Wettkampf anzugucken. Wow! König: Ich habe vor vier Jahren in Sydney wie auf einer Wolke geschwebt, ich wusste gar nicht, wo ich bin. Ich habe das Wochen später erst richtig realisiert, dass ich da dabei war. Ich stand da vorne und durfte vor dieser Masse fechten. Das war etwas wahnsinnig Schönes, ein Glücksgefühl, das man als Sportler immer wieder erleben will.Wissen Sie schon, was Sie diesmal im August machen werden?Riesterer: Olympia im Fernsehen gucken. Als Sportler muss man das doch, wenn man selber nicht hinfahren darf.König: Die Spiele sieht man sich einfach an.Verschärfen die Fernsehbilder nicht den Schmerz darüber, dass man nicht qualifiziert ist?Anke Piper (Turmspringerin): Wehmut wird auf jeden Fall dabei sein. Aber ich habe mich mit dem Gedanken abgefunden. Ich muss es hinnehmen, wie es ist.König: Meine Schwester ist in Athen mit dabei. Sie kämpft dort mit dem Säbel. Ich fiebere mit ihr mit. Das macht es für mich leichter.Wie kam es dazu, dass Sie nicht dabei sind?Piper: Ich kann nicht mehr springen, weil mein Knie nicht in Ordnung ist. Ich laboriere schon lange daran herum und habe mich im September durchgerungen, eine OP machen zu lassen. Die ist nicht so geworden, wie ich dachte. Damit ist das Thema abgehakt.Riesterer: Ich war eigentlich schon gut genug drauf, um Olympia in Reichweite zu haben. Dann kamen auf einmal gesundheitliche Probleme auf, ich bin zum Arzt gegangen, und der hat gesagt: Frau Riesterer, Sie sind schwanger.Das kam überraschend?Riesterer: Auf jeden Fall. Zwei Wochen musste ich mit mir ringen, ich war total fertig, weil ich ja mitten in der Olympia-Vorbereitung gesteckt habe. Ich dachte: Was machst du jetzt? So ein Mist. Damit rechnet man doch nicht, dass so etwas passieren kann wegen einer Unverträglichkeit von Medikamenten. Jetzt ist es egal, ich freue mich auf das Kind. Ich habe dann eben eine andere Glückssache.Frau Abel, Sie sind 20 und müssen fürchten, dass Ihre Olympia-Karriere nach dem Bruch beider Unterarme jetzt schon endgültig beendet ist. Katja Abel (Turnerin): Bei uns Turnerinnen ist es ja so, dass wir schon mit 14 Jahren international starten. Die über 20 gehören schon zum älteren Eisen. Ich hatte mich jetzt speziell auf 2004 vorbereitet, weil für mich klar war: Athen ist meine letzte Chance.Wie groß ist die Enttäuschung, wenn man aus der Ferne zuschaut?Abel: Sehr groß.Piper: Für mich ist es jetzt das dritte Mal, dass ich nur vorm Fernseher sitze, nein, Quatsch, das vierte Mal. 1992 bin ich knapp gescheitert als Dritte, zwei durften fahren. 1996 bin ich wieder knapp gescheitert. Und 2000 auch. Und jetzt die Verletzung. Tja.Das klingt nach routinierter Verarbeitung.Piper: Mittlerweile ja. Deswegen sehe ich es jetzt auch viel lockerer.Tatsächlich?Piper: Nicht wirklich. 1992 habe ich absolut gelitten, ich konnte mir die Wettkämpfe nicht angucken, ich habe weder die Eröffnung angeschaut noch die Wasserspringer.Abel: Für mich war vor vier Jahren klar, dass Sydney verloren ist. Dann habe ich eben gesagt, na gut, ich hänge jetzt noch vier Jahre an, ich setze jetzt alles auf Athen - aber es sollte wieder nicht sein.Frau König, Sie sind 27, das ist für eine Fechterin noch nicht sonderlich alt. Versuchen Sie es noch mal?König: Ich habe eine ganze Woche darüber nachgedacht. Ich weiß, wie hart es ist, vier Jahre dranzuhängen. Aber ich denke mir, ich habe in Sydney die schönsten Spiele erlebt, die man sich denken kann. Ich werde weiter fechten.Piper: Es ist schade, dass ich das nie erleben durfte. Olympia setzt der Karriere eine Krone auf.Worauf Sie ja verzichten mussten.Piper: Ja, aber trotz der vier Negativerfahrungen habe ich immer weitergekämpft, immer wieder Erfolge gehabt. Ich habe mich schnell auf neue Ziele konzentriert und versucht, das Alte abzuhaken. Das ist natürlich verdammt schwierig. Aber man sollte nicht die Vergangenheit betrauern und heulen.Geht das so einfach?Abel: Man muss sich damit abfinden. Ich wollte unbedingt einmal zu Olympia, das war mein größtes Ziel. Dafür habe ich geturnt, mehr als 16 Jahre. Und trotzdem kann es immer passieren, dass etwas dazwischen kommt. Das muss man einfach so akzeptieren.Frau Piper, haben Sie im Scheitern eine Schicksalhaftigkeit erkannt?Piper: Nein. Vielleicht soll es einfach nicht sein. Wenn ich nicht zu alt wäre, würde ich sagen, ich probiere es noch ein fünftes Mal.Frau König, die anderen sind wegen äußerer Einflüsse nicht dabei - bei Ihnen hat es an der Qualifikation gelegen. Wie gehen Sie damit um?König: Ich war im ersten Augenblick unheimlich traurig. Doch der Sport ist ein Teil meines Lebens, nicht die Hauptsache.Frau Riesterer, Sie haben vorhin so von Olympia geschwärmt - was war für Sie die einprägsamste Episode?Riesterer: Dass ich in Sydney die Zuschauer gut unterhalten habe. Ich bin von der Bühne runtergekommen, und da haben die Leute unglaublich geklatscht. Sie haben mich richtig zugeklatscht, das war schon sehr erhebend.König: Mich hat die Eröffnungsfeier vom Hocker gehauen. Als wir da einmarschiert sind. Sieht das Publikum denn grundsätzlich anders aus bei Weltmeisterschaften oder Europameisterschaften? Ist es enthusiastischer?König: Eindeutig. Ich habe so etwas noch nie im Leben erlebt.Womit würden Sie es vergleichen?König: Mit Fußball-Weltmeisterschaften, das Endspiel.Riesterer: Vielleicht ist das Publikum auch deswegen so anders, weil die unvorbereitet alles angucken. Es sind Leute, die schlichtweg olympiabegeistert sind.Olympia, ein Rauschzustand?Riesterer: Eindeutig ja.Fahren Sie dann wenigstens als Tourist nach Athen?Piper: Nein, das würde mich nicht reizen. Ich will kein Zuschauer sein. Ich will mittendrin sein. Werden Sie mit Sportlern in Athen in Kontakt stehen?Abel: Eher nicht.Bei Ihnen wird sich der Kontakt ja zwangsläufig ergeben, Frau König?König: Klar, meine Schwester ist ja vor Ort. Sie wollen sich die Kämpfe Ihrer Schwester nicht live anschauen?König: Wenn ich mir vor drei Wochen die Örtlichkeiten nicht schon angeschaut hätte und wüsste, dass alles noch so chaotisch aussieht, vielleicht. Aber so: nein. Das anhaltende Chaos in Athen mindert den Schmerz?König: Ich habe die Fechthalle gesehen. Drumherum war nur Baustelle. Das sah nicht gerade sehr olympisch aus.Wenn Sie also am Fernseher sitzen im August: Klinken Sie sich dann virtuell in Wettkämpfe ein?Piper: Nein, so was habe ich mit den Jahren abgelegt. Das habe ich früher mal gemacht, zu sagen, Mensch, da wäre ich viel besser gewesen. Aber das ist ja Quatsch. Man muss dabei sein.Abel: Man fiebert mit, aber ich bin mir nicht sicher, dass man deutsche Turnerinnen in Athen im Fernsehen sehen wird, und ich kann mich nicht vergleichen mit der Weltspitze.Riesterer: Es hat keinen Sinn zu sagen: Mensch, ich hätte jetzt diese oder jene Platzierung gebracht. Ich bin nicht da - und fertig. Man muss es einfach abhaken, sich freuen, über die Leute, die dort sind. Sie sind ja wahre Profis im Verarbeiten von Enttäuschungen.Piper: Man lernt das mit den Jahren, ansonsten kommt man nicht so weit in seiner Sparte.Man wird zum Routinier?Abel: Muss man. Um wieder etwas Neues machen, um neue Ziele angehen zu können. Ich muss die Tür zumachen und die nächste Tür aufmachen.Piper: Es gibt viele Sportler, die damit nicht fertig werden, die Hilfe von Psychologen brauchen. Aber ich habe im Sport so viel durchgemacht, dass ich von Jahr zu Jahr gelernt habe und psychisch stärker geworden bin in der Niederlage. Sie gehen mit der vergebenen Qualifikation gelassen um.König: Welche Wahl habe ich?Trübsal blasen?Abel: Das ändert ja auch nichts.König: Mit Niederlagen sind wir alle groß geworden, alle, die Sport machen. Man kann wegen Rückschlägen nicht den Kopf in den Sand stecken und sagen, so, jetzt geht die Welt unter. Wenn ich trübsinnig zu Hause rumsitzen würde, wäre das eine Katastrophe.Wer einen Nackenschlag nicht wegsteckt, ist ein schlechter Sportler?König: Wenn es jemand nicht schafft, Niederlagen zu verarbeiten, dann muss er aufhören.Aber bei Ihnen, Frau Abel, war Verarbeitung nach der schweren Verletzung wohl nur schwer möglich?Abel: Noch bevor ich mit den Armen aufgekommen bin, war mir klar, dass es das war mit Olympia. Ich wusste, dass die Höhe, aus der ich gestürzt bin, zu viel war für die Arme. Und dass jetzt gleich das Knacken kommt.Das Interview führten Stefan Osterhaus und Markus Völker.------------------------------Quartett der Enttäuschten // Anke Piper: Die Turmspringerin (32) vom Berliner TSC nahm nie bei Olympia teil. Insgesamt vier Mal verpasste sie wegen Verletzungen das große Ziel. Piper, deren größter Erfolg der EM-Sieg 2002 vom Turm war, wird ihre Laufbahn beenden. Eine Knieoperation im September hatte nicht den erhofften Erfolg gebracht.Monique Riesterer: Einmal nahm die Gewichtheberin (32) vom TSC Berlin an den Olympischen Spielen teil: 2000 in Sydney wurde sie Sechste im Finale. Ihre Pläne für Athen wurden von einem erfreulichen Grund durchkreuzt: Riesterer erwartet ein Baby. Daraufhin entschied sie sich, ihre Laufbahn zu beenden.Katja Abel: Eigentlich war sich die Turnerin (20) vom SC Berlin sicher, in Athen teilzunehmen. Doch sie erlitt im Training eine komplizierte Verletzung; beide Unterarme brachen. Abel war klar, dass der Sturz ihre Olympia-Teilnahme verhindern wird. Sie will weiter turnen, doch eine Teilnahme 2008 hält sie für unwahrscheinlich.Rita König: Ihren größten Erfolg erzielte die Florettfechterin (27) aus Tauberbischofsheim gleich bei ihrer ersten Olympia-Teilnahme in Sydney. Sie gewann Silber und Team-Bronze. König, die der Gesprächsrunde telefonisch zugeschaltet war, scheiterte in der Qualifikation für Athen. Sie wird ihre Karriere fortsetzen.------------------------------"Ich habe in Sydney wie auf einer Wolke geschwebt. Ich wusste gar nicht, wo ich bin."Rita König, Olympiazweite im Florettfechten------------------------------Foto: Rita König, Fechterin------------------------------Foto: "Man lernt mit den Jahren zu verarbeiten, ansonsten kommt man nicht so weit in seiner Sparte": Anke Piper, Monique Riesterer und Katja Abel (v. l.).