Abtreibungsrecht: Wie sicher sind Frauen in Europa?

Das verschärfte Abtreibungsrecht in den USA soll Frauen unter Kontrolle bringen. Aber nicht nur dort und nicht nur die. Der folgende Text ist auch für Männer.

Protest gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts in New York.
Protest gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts in New York.imago images

Wir schreiben das Jahr 2022 und in den USA löschen Frauen ihre Zyklus-App vom Smartphone. Hintergrund ist die Angst, dass private Daten in falsche Hände geraten können. Da das oberste Gericht das Recht auf Abtreibung gekippt hat, beginnen einzelne Staaten ihr Abtreibungsrecht zu verschärften, bis hin zum kompletten Verbot. Die Frauen müssen mit Recht befürchten, dass ihre Daten, wenn sie in falsche Hände geraten, gegen sie verwendet werden.

Ähnlich ist es in Polen. Dort sorgt eine neue Verordnung für Empörung unter Frauen. Die Regelungen sehen vor, dass Ärzte mehr Informationen über Schwangerschaften speichern dürfen. Die Politiker versichern treuherzig, das diene dem Gesundheitsschutz der betroffenen Frauen. Die wissen es besser: Das Ziel ist Kontrolle. Auch Polen erlaubt Abbrüche nur in Ausnahmefällen.

Malta: Keine Abtreibung, obwohl die Mutter in Lebensgefahr schwebte

Eine schwer kranke Touristin musste jüngst von Malta nach Spanien reisen, um ihre Schwangerschaft abbrechen zu lassen. Der Fötus in ihrem Bauch war lebensunfähig, aber da das Herz noch schlug, war es zweitrangig, dass die Fortsetzung der Schwangerschaft das Leben der Frau gefährdete.

Parade zum Christopher Street Day (CSD) in Berlin.
Parade zum Christopher Street Day (CSD) in Berlin.dpa/Paul Zinken

In Deutschland wurde der Paragraf 219a gekippt. Das bedeutet, dass Ärztinnen und Ärzte auf ihrer Webseite nun nicht nur darüber informieren dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten, sondern auch, mit welcher Methode. Vorher war das wegen des Verbots der Werbung für Abtreibung unter Strafe gestellt. Als könnten Frauen nicht zwischen Information und Werbung entscheiden.

Dennoch ist auch in Deutschland nicht alles in Ordnung. Der juristische Fortschritt hat einen bitteren Beigeschmack. Dass diese skandalöse Regelung nun nichtig ist, täuscht nämlich nicht darüber hinweg, dass auch in Deutschland Abtreibung im Grunde verboten ist. Die Rechtspraxis sieht vor, dass Abbrüche unter bestimmten Voraussetzungen straffrei bleiben. Mehr nicht. Das Recht auf die Bestimmung über den eigenen Körper bleibt der Hälfte der Bevölkerung demnach auch weiterhin verwehrt. Pläne, dies zu ändern, gibt es nicht.

Rollback in den USA, unnachgiebige Strenge in Teilen Europas, nur eine kleine Abtreibungsreform in Deutschland. Der Körper der Frau wird mal wieder zum Schlachtfeld. Es geht um die Wiederherstellung der alten Ordnung. Mann oben, Frau unten. Und mit ihr alle anderen, die nicht ins Raster des heterosexuellen „Normalen“ passen: Lesben, Schwule, Transpersonen.

In den USA wird es demnächst eine Diskussion um Verhütungsmittel geben und den Zugang dazu. Dann werden die Rechte der Lesben und Schwulen an der Reihe sein. Das klingt dystopisch? Paranoid? Lesen Sie mal die Äußerungen von Clarence Thomas. Der Mann ist kein verwirrter Rechtsextremer, jedenfalls nicht nur, sondern Richter am Supreme Court in den USA. Ein oberster Bundesrichter.

Wir könnten uns hier in Deutschland natürlich erst mal gemütlich zurücklehnen und uns sagen, dass das eben die Amis sind. Dass die katholischen Polen schon immer gegen Abtreibung waren und dass Malta eben einfach ein sehr merkwürdiges Land ist. Wir könnten uns sagen, dass wir hier ja die Ampelregierung haben, die viel streitet, sich aber in Sachen Gesellschaftspolitik einig ist. Schließlich wurde erst am Donnerstag der Entwurf eines neuen Selbstbestimmungsgesetzes vorgestellt, das es Menschen leichter machen soll, ihren Vornamen und ihr Geschlecht im Pass ändern zu lassen.

Das ist toll, keine Frage. Aber man sollte sich nicht täuschen lassen. Das Personenstandsrecht zu ändern, ist einfacher, als über Sex zu reden. Der juristische Fachbegriff allein suggeriert sicheres Terrain. Aber Sex, dieses ganze Durcheinander verschiedener Vorlieben, wer wen liebt und wie – das ist unübersichtlich, fremd, das verunsichert – und macht Angst. Also muss Ordnung in die Sache gebracht werden.

Diese gesellschaftliche Rückentwicklung ist frauenfeindlich – aber nicht nur. Wer den Sex reguliert, bekämpft die Freiheit. Wir sollten uns das nicht gefallen lassen, egal, ob weiblich, männlich oder divers.