Charme als Waffe: Wenn die Parkplatzsuche zu Straßenkämpfen führt

Auf der Suche nach einem Parkplatz werden mitunter nicht nur Worte gewechselt. Manchmal ist man einfach nur sprachlos.

Parkende und fahrende Autos in Berlin
Parkende und fahrende Autos in Berlinimago images

Verlässlicher als jeder andere öffentliche Raum bietet der Straßenverkehr Anschauung für die Spielarten menschlichen Verhaltens. Wie man einander dort begegnet, hat sich im Verlauf der Jahre verändert. Aus meiner Kindheit ist mir eine heute kurios anmutende Geste in Erinnerung. Selbst Männer, die einander nur flüchtig kannten, lüpften ganz selbstverständlich ihren Hut zum Gruße. Für Frauen schien das nicht zu gelten. Es kam mir steif und albern vor, ein paar Jahre später waren derlei Szenen schon deshalb verschwunden, weil niemand mehr einen Hut trug. Grußgesten mit Baseballkappen haben sich nicht durchsetzen können.

Durch den Kokon des Autogehäuses haben sich Aspekte des Anstands jenseits der Regeln, die in der Straßenverkehrsordnung definiert sind, weitgehend verflüchtigt. Über die Vorfahrt darf kein Missverständnis entstehen, es könnte schwerwiegende Folgen haben. Anders sieht es bei der Parkplatzsuche aus – Entschuldigung, liebe Klimaleute, dass es an dieser Stelle noch einmal um derlei unverantwortlich rückständige Varianten geht, sich fortzubewegen.

Ladies first und das Karmakonto

Nach längerem Suchen hatten wir kürzlich einen freien Platz anvisiert und entsprechend den Blinker gesetzt. Plötzlich aber war die Parkbucht, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite lag, versperrt, weil sich eine Alleinfahrerin samt Familienvan zwischen uns und die Box bugsiert hatte. Freundlich lächelnd bat sie mich, das Fenster zu senken. Ich tat wie mir geheißen und vernahm verblüffend ihre lächelnd vorgetragene Ansage. Sie nehme jetzt diesen Parkplatz, sie suche schon etwas länger. Weil sie mein Erstaunen bemerkte, fügte sie selbstbewusst an: „Ladies first.“ Außerdem wäre Nachgeben gut fürs Karmakonto.

Der Ladies-first-Satz erzürnte an meiner Seite B., die sich durch den Charmeangriff der Verkehrskontrahentin bösartig vernachlässigt sah. Aber was soll ich sagen? Die Alleinfahrerin hatte gesiegt. Nach einer weiteren Runde um den Block war es schließlich auch uns gelungen, unser Fahrzeug abzustellen.

Romantik auf dem Rückzug

Aber es wurmte uns noch eine ganze Weile, sich einer derartigen Charmeoffensive geschlagen geben zu müssen. Immerhin hatte sie jeder anderen Reaktion – Zorn, Beschimpfung – den Wind aus den Segeln genommen. Mir fiel dazu eine Tagebuchnotiz des Philosophen Günther Anders ein, der irgendwann in den 50er-Jahren den Satz notierte: „Rechte ruinieren Charme.“ Damit wollte er nichts gegen die Emanzipation der Frauen gesagt haben. Er begrüßte sie ausdrücklich. Sehr wohl aber meinte er sich den Hinweis erlauben zu können, dass sich die Geschlechterrollen mit der Durchsetzung rechtlicher Gleichstellung verändern, insbesondere hinsichtlich der Gefühlslagen, die mit dem Adjektiv romantisch verknüpft sind – sei es als Erwartung oder auch als Verlust.

Die Begegnung von Autofenster zu Autofenster war ganz und gar unromantisch. Es war gerade kein Ernst Lubitsch in der Nähe, der in der Lage gewesen wäre, aus der Szene einen wunderbar anzüglichen Filmstoff zu entwickeln. Vielmehr waren wir Zeuge dessen geworden, wie eine Frau mittleren Alters ihre Begabung für Charme als Waffe einzusetzen bereit war. Das ist gewiss keine neue Erkenntnis. Dass es um den Preis eines schnöden Parkplatzes ging, will mir seither nicht mehr aus dem Kopf gehen.