Der Corona-Panikmodus: Auch Angela Merkel hat dazu beigetragen

Am 18. März 2020 beschwor Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Rede die Solidarität der Deutschen gegen Corona. Dem folgte eine panische Risikokommunikation.

Angela Merkel bei ihrer Corona-Rede an die Nation am 18. März 2020.
Angela Merkel bei ihrer Corona-Rede an die Nation am 18. März 2020.Steffen Kugler/AFP/Bundesregierung

Zurzeit findet eine Art Rückschau statt, bei der gefragt wird: Sind wir gut durch die Pandemie gekommen, was müssen wir für die Zukunft lernen? Dabei fallen die Antworten ganz verschieden aus. Viele sagen, dass wir noch mal glimpflich davongekommen seien, auch dank Masken, Schließungen, Homeoffice und Impfungen.

Andere sehen im Rückblick vieles als maßlos übertrieben an. Und sie bekommen zum Teil ihre Sicht bestätigt, etwa durch die Aussage des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach, dass es ein Fehler gewesen sei, Schulen und Kitas so lange zu schließen.

Welche Antwort man im Einzelnen auch immer hat: Eine der wichtigsten Lehren ist, eine Pandemie als gesellschaftlich ganzheitliches Geschehen zu sehen, das alle Sphären betrifft. Nicht nur die an Covid-19 Erkrankten und Verstorbenen sind Pandemie-Opfer – nein, auch der alte Heimbewohner, der in der Isolation einging, der Patient, dessen Herzkrankheit nicht rechtzeitig behandelt werden konnte, der Ladenbesitzer, dessen Geschäft kaputtging, und das Schulkind, das noch immer unter psychischen Störungen leidet.

Größte Herausforderung „seit dem Zweiten Weltkrieg“

Leider jedoch standen in Deutschland lange allein „das Virus“ und die epidemiologische Sicht im Mittelpunkt. Es herrschte eine Art Panik mit Tunnelblick. Dazu hat auch Angela Merkel beigetragen. Die Bundeskanzlerin gab in einer Rede am 18. März 2020 den Ton und den Stil vor, mit denen Deutschland durch die Pandemie gehen sollte.

Dabei hatte man zuvor wochenlang nichts gehört von Angela Merkel. Bereits am 30. Januar 2020 hatte die WHO eine „gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite“ ausgerufen. Ab Ende Februar lud das Robert-Koch-Institut (RKI) zum täglichen Briefing. Am 11. März sprach die WHO offiziell von einer „weltweiten Pandemie“. Und dann dauerte es noch eine Woche, bis sich Merkel mit einer großen Rede an die Nation meldete. Die Pandemie war Chefsache geworden.

Es war genau jener 18. März, an dem im italienischen Bergamo eine Lastwagenkolonne der Armee mit Corona-Toten durch die Stadt fuhr. Der Schrecken, den solche Bilder auslösten, ist noch heute spürbar. Es schien, als sei der Geist Churchills in sie gefahren, als Merkel Dinge sagte, wie: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst. Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt.“

Taskforces aus Experten verschiedenster Fachgebiete

„Dass wir diese Krise überwinden werden, dessen bin ich vollkommen sicher. Aber wie hoch werden die Opfer sein? Wie viele geliebte Menschen werden wir verlieren?“, fragte Merkel. Sie schwor die Deutschen auf harte Maßnahmen ein, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Zugleich aber sagte sie, dass die Regierung jede politische Entscheidung „transparent machen und erläutern“ wolle. Sie sprach von „geteiltem Wissen und Mitwirkung“ und davon, dass Freiheitsbeschränkungen „in einer Demokratie nie leichtfertig und nur temporär beschlossen werden“ sollten.

Leider blieb in der Praxis offenbar nur „Weltkrieg“ hängen, nicht „Transparenz“, „Mitwirkung“ und „Demokratie“. Als zum Beispiel Anfang April 2020 Wissenschaftler aus etwa zehn deutschen Universitäten und Forschungsinstituten eine „flexible, nach Risiken gestaffelte Strategie“ vorstellten, um die Pandemie zu bekämpfen, ohne die ganze Gesellschaft monatelang im Lockdown zu halten, blieben ihre Vorschläge nahezu ungehört. Die Wissenschaftler schlugen unter anderem vor, nationale und regionale Taskforces aus Experten verschiedenster Fachgebiete einzurichten.

Doch leider umgab sich die Regierung lange nur mit einem kleinen Kreis von Wissenschaftlern. Ihr Vorgehen wurde beherrscht von einer Sicht, der zufolge sich das Virus unbegrenzt exponentiell ausbreiten würde, wenn man nicht „alles dicht“ machte. Das beruhte auf viel zu einfachen, alten Modellen, die die „Pandemie als komplexes System“ nicht abbildeten, wie Forscher kritisierten. Dabei gab es recht früh Vorschläge, wie man regional unterschiedlich vorgehen und einen besseren Überblick über die wirkliche Ausbreitung gewinnen könnte.

Viele Verbote konnten wissenschaftlich nicht begründet werden

Die erste Phase der Pandemie hatte gezeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung durchaus vernünftig reagierte, Abstand hielt, Hygienestandards befolgte. An diese Einsichten hätte man anknüpfen können, auch mit einer angemessenen Risikokommunikation statt eines Tons der Gängelung und Verboten, die teilweise ans Irrwitzige grenzten und wissenschaftlich nicht begründet waren. Dazu gehörten die Schließung von Spielplätzen im Freien, polizeiliche Parkbank-Sitzverbote, nächtliche Ausgangssperren und Maskengebote im Freien. 

Zur gleichen Zeit versagten die Konzepte in einer Reihe von Alten- und Pflegeheimen. Einem Krankenkassenreport zufolge soll fast jeder zweite Corona-Tote in Deutschland aus einem Pflegeheim kommen. Schon früh hatten Forscher kritisiert, dass die allgemein verfügten Lockdowns gerade für die vulnerablen Gruppen wirkungslos seien.

Kritiker forderten wirksame Konzepte und Unterstützung für Pflegeheime. Zugleich mahnten Experten: Man sollte das Augenmerk auch auf schlimme Folgen richten, die sich aus Isolation, Kontaktverboten, Bewegungslosigkeit ergäben. Zum Beispiel für Alte und Kinder. Es gab viele kritische Thesenpapiere und Stellungnahmen in dieser Pandemie, etwa vom Cochrane-Netzwerk, von der Akademie Leopoldina. Sie behandelten unzählige Aspekte, die sich nicht in der Politik niederschlugen. 

Zweifel und Befürchtungen müssen ernst genommen werden

Der Panikmodus fand seinen Höhepunkt in einem völlig unangemessenen Ton gegenüber nicht Geimpften. Dieser erklärt sich dadurch, dass sich Politiker und Gesellschaft durch die Impfungen die schnelle Herstellung einer „Herdenimmunität“ und ein Ende aller Lockdowns erhofften. Bald stellte sich jedoch heraus, dass auch Geimpfte weiter erkranken konnten, wenn auch meist nicht so schwer, und dass sie das Virus nach wie vor weitergeben konnten.

Die Vorstellung einer völligen Ausmerzung von Covid-19 erwies sich als Illusion. Ein „Herdenschutz“ wie etwa bei Masern, Röteln, Polio oder Pocken war bei Covid-19 durch Impfungen kaum zu erreichen. Dennoch verschärfte sich der Ton – bis hin zu Vorschlägen, nicht Geimpften das Arbeitslosengeld zu entziehen, sie in Praxen oder Kliniken nicht zu behandeln, sie nicht auf die Straße zu lassen, ihnen das Gehalt zu sperren, sie gar in Beugehaft zu nehmen oder ihnen die Renten zu kürzen. Dabei muss jede Impfentscheidung individuell getroffen werden – auf Grundlage einer persönlichen Abwägung von Nutzen und Risiken.

Es braucht eine tragfähige gesellschaftliche Strategie

Zugegeben, die ganze Gesellschaft stand unter Druck, auch durch die Ereignisse selbst. Aber beim nächsten Mal sollte es weniger Panikmache geben, dafür eine angemessene Risikokommunikation und ein gut abgestimmtes Vorgehen, bei dem die verschiedensten gesellschaftlichen Kräfte zusammenwirken.

Die große Frage ist: Wo bleibt die tragfähige gesellschaftliche Strategie, die bei einer nächsten Pandemie oder ähnlichen Notlagen sofort „aus der Schublade“ gezogen werden könnte?