Elektronische Patientenakte: Da müssen wir genauer hinschauen!

Endlich kommt die ePA, jubeln die einen – vor dem Ende des Datenschutzes warnen andere. Vieles ist nicht geklärt, Lauterbach will trotzdem schnell handeln.

Ein Facharzt arbeitet mit einer elektronischen Patientenakte, die ein E-Rezept zeigt. 
Ein Facharzt arbeitet mit einer elektronischen Patientenakte, die ein E-Rezept zeigt. Jens Kalaene/dpa

Mit der Digitalisierung ist das so eine Sache. Sie kann in vielerlei Hinsicht das Leben erleichtern, aber sie hat auch ihre Tücken. Je nachdem, wie sie gestaltet ist, und je nachdem, wer sie gestaltet.

Fakt ist, dass Daten das Geschäft der Stunde sind, Fakt ist aber auch, dass das Geschäft mit den Daten – und insgesamt mit der Digitalisierung – von vielen nicht ausreichend verstanden wird, um es abschließend beurteilen zu können. Nicht jeder ist ein Technikfreak; die meisten wollen einfach irgendwo draufdrücken, schnell das gewünschte Ergebnis und mit dem Rest nichts weiter zu tun haben.

Das kann für alle Seiten okay sein, wenn es sich nicht um sensible Daten handelt. Das ist aber nicht der Fall, wen es um Gesundheitsdaten geht.

Deutschland blockiere den Fortschritt, ist immer wieder zu hören, das hindere ganze Wirtschaftszweige daran, voranzukommen. Auch Klinikärzte beschweren sich, die Hälfte ihres Tages bestehe daraus, wichtigen Patientendaten hinterherzutelefonieren. Das verschwende Zeit, Nerven und die gerade im Gesundheitssystem so dringend benötigte Arbeitskraft.

Dass es auch in diesem sensiblen Bereich gut funktionieren kann, durch Digitalisierung für alle Seiten bessere Erfolge zu erzielen, zeigt etwa das Beispiel des finnischen Pflegedienstes Helppy, der seit 2022 in Berlin vertreten ist mit einem Angebot, das auf Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Einbindung von Angehörigen durch eine App setzt. Dadurch entfallen Dienstplan-Querelen; die frei gewordene Zeit kann dafür verwendet werden, das Angebot in der Pflege zu verbessern. Ob sich das im bürokratieversessenen Deutschland durchsetzen kann, muss sich aber erst noch zeigen.

Was gegen die elektronische Patientenakte spricht, ist auch schnell aufgezählt: Der Chaos Computer Club (CCC) weist darauf hin, dass die Infrastruktur dafür fehle. „Lauterbach setzt mit seinen Plänen ein Luxusdach auf ein morsches Fundament“, sagte Martin Tschirsisch vom CCC dem ZDF.

Das ist etwas, wovon einige niedergelassene Ärzte seit Jahren berichten: Schon die bisherige Infrastruktur für die Daten auf der aktuellen Krankenkassenkarte sei fehleranfällig und kostenintensiv für die Praxen sowie eine Schwachstelle hinsichtlich Datenlecks. Manche gehen so weit zu behaupten, dass sich die aktuelle Technik mit ihrem Verständnis von ärztlicher Schweigepflicht nicht vereinbaren lasse. Doch sie müssen mitziehen, ansonsten droht der Entzug der Zulassung. Ob sich das durch Einführung der ePA bessert?

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz übt Kritik: „Dem Bürger darf nicht die Kontrolle über seine medizinischen Informationen entzogen werden. Denn Schweigen bedeutet nicht Zustimmung“, sagt der Vorstand Eugen Brysch und zielt damit auf die Ankündigung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ab, zur Einführung der elektronischen Patientenakte ab 2024 eine sogenannte Opt-out-Lösung anzubieten. Bedeutet: Die ePA soll künftig für alle 73 Millionen gesetzlich Versicherten gelten – es sei denn, der Patient entscheidet sich bewusst dagegen und legt Widerspruch ein.

Das mit dem Widerspruch ist aber auch wieder so eine Sache. Schon Jens Spahn (CDU) hatte als Gesundheitsminister eine Widerspruchslösung bei Organspenden angestrebt, war damit aber – zu Recht – gescheitert. Denn der Staat sollte keine automatischen Zugriffsrechte auf kranke Menschen haben, das Selbstbestimmungsrecht des Individuums steht dem grundsätzlich entgegen.

So ähnlich ist das nun auch mit der elektronischen Patientenakte. Wer garantiert, dass alte Diagnosen von Ärzten, die nicht mehr dem aktuellen Wissensstand entsprechen, in der Patientenakte auch regelmäßig gelöscht werden, sodass es nicht zu wiederholt falschen Einschätzungen oder Behandlungen kommt? Bei der Debatte im Netz fürchten sich etwa Patienten davor, alte und – manchmal falsche – psychiatrische Diagnosen nie wieder loszuwerden und fortan nur noch psychosomatisch behandelt zu werden.

Auch dass Daten der Patienten an die Pharmaindustrie weitergegeben würden, ohne dass Patienten dem widersprechen könnten, sei unter diesem Konzept zu befürchten, was Missbrauch Tür und Tor öffne, lautet die Kritik an dem Vorhaben, das Lauterbach im Eiltempo voranbringen will.

Insofern lässt sich der Streitfall ePA nicht auf den einfachen Diskurs zwischen Ewiggestrigen und forschen Zukunftsfreudigen herunterbrechen. Im Sinne der Patienten bedarf es da schon noch deutlich mehr Transparenz bis zur Umsetzung.