Die „Letzte Generation“ sucht verzweifelt nach Bindung

Warum nur kleben sie sich so an? Die Protestler haben das Museum für sich entdeckt. Erste Erklärungsversuche.

Protest vor Raffaels „Sixtinischer Madonna“ in Dresden.
Protest vor Raffaels „Sixtinischer Madonna“ in Dresden.dpa

Wie es mit der Rettung der Natur läuft, wusste die kanadische Sängerin Joni Mitchell bereits 1970. „They took all the trees / put them in a tree museum“, singt sie in ihrem Song „Big Yellow Taxi“. Für wenig mehr als einen Dollar gab es demnach in einem Baum-Museum das Gefühl am Counter, eins zu sein mit der Natur. Aber mehr als ein Protestlied über Umweltzerstörung war „Big Yellow Taxi“ wohl eins über emotionale Ausbeutung. Wo Rettung draufsteht, ist eher selten welche drin.

Es ist natürlich ein schwer paternalistischer Blick, der nun den ungezogenen Kindern der „Letzten Generation“ dabei zusieht, wie sie sich im schönen Städel-Museum und anderswo an Bilder des einheimischen kulturellen Erbes anheften. Richtete sich das Mitgefühl zuletzt im vollen Bewusstsein der Wirkungsweise von Sekundenklebern auf die leicht verletzliche Haut, die unsanft vom Asphalt gelöst werden musste, so gilt es nun den üppigen Bilderrahmen, von denen man schnell erfuhr, dass sie keine originalen Werkcharakter besitzen. Die Kunst, sollte das wohl heißen, bleibt unberührt. Unsere Radikalsten sind also auch bloß symbolpolitisch unterwegs – die Revolte als billiger Showeffekt. Okay, der kritische Impuls war auch schon mal erfindungsreicher.

Touchieren und nicht mehr loslassen

Hätten Sie es gewusst? Es ist gerade einmal vier Jahre her, dass die Schülerin Greta Thunberg sich mit einem handgeschriebenen Schild auf die Straße gesetzt und einen Schulstreik ausgerufen hat, der bald danach millionenfach von ihresgleichen befolgt wurde. Die pädagogisch wertvolle Antwort darauf war tatsächlich eine mit großem Ernst vorgetragene Frage, ob es zu verantworten sei, dass schulpflichtige Kinder dem Unterricht einfach fernbleiben dürfen. Wenig später entschieden Schulbehörden weltweit, die Klassenräume abzuschließen, wenn auch aus Sorge um Ansteckungsgefahren in der Pandemie.

Natürlich muss man als alternder Boomer – der zwangsläufig ein Beobachter wechselnder gesellschaftlicher und politischer Gefahren ist – die Frage stellen, warum die Generation, die sich mit apokalyptischer Verve als die Letzte betrachtet, in Museen begeben und nicht etwa vor die Konzernzentralen in Wolfsburg oder Sindelfingen, wo die Emissionswerte nicht ganz so moderner Verbrenner eben noch trickreich kaschiert wurden, als handele es sich dabei um Simulationen einer Zeile aus Joni Mitchells Lied.

Ich habe den Verdacht, dass die „Letzte Generation“ die Gemälde nicht touchieren will, um sie zu verletzen, sondern sie vielmehr als Komplizen aufsucht. Während Maler, Musiker und Dichter immer wieder in der Lage waren, die Welt in ihrer Schönheit zu bannen, aber auch mit ihren verführerischen Zerstörungskräften aufzuwühlen, sucht die „Letzte Generation“ verzweifelt nach Bindung. Nicht weggehen, um anzukommen ist ihre Devise, sondern Hierbleiben, um alles in der Welt.