Deutschland schlittert von der Krisen- in die Kriegswirtschaft
Wir bereiten uns mit Notfallplänen auf den kriegsbedingten Ausnahmezustand vor: Die Grenzen zwischen Krise und Krieg verschwimmen.

Wenn Olaf Scholz die neue deutsche Staatsräson auf Englisch mit einem „You’ll never walk alone“ erklärt, dann ist das gleich in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Klar, gab sich der Bundeskanzler mit dieser popkulturellen Avance vor ein paar Tagen superlocker, weltoffen und volkstümlich. So wurde dieser Satz allenthalben verstanden: als eine gute Botschaft, die in bester, eigentlich längst überlebter, vergessener sozialdemokratischer Tradition allen Besorgten und Bedürftigen in die Hand verspricht, mit den kriegsbedingt steigenden Energiekosten nicht alleingelassen zu werden.
Warum eine solche, allerdings an frühere Zeiten der arbeiter- und angestelltenbewegten SPD erinnernde Botschaft nur auf Englisch gesagt werden kann, ist auch vollkommen klar: Die Agenda-2010-modernisierten Sozen trauen sich so viele Emphasen nur noch im verspielt-unverbindlichen Format eines Popsongs zu. „You’ll Never Walk Alone“ wurde bereits 1945 von Frank Sinatra eingesungen, um dann 1963 von der Liverpooler Beatgruppe Gerry & the Pacemakers mit viel proletarischem Charme und bürgerlichem Geigenschmelz seine endgültige Fassung zu bekommen.
Kommandowirtschaft: Der Staat greift ein und verteilt die Rssourcen
Offenbar zitiert Olaf Scholz den fußballstadion- und damit mitgröltauglichen Song wie ein Appell zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Davon zeigten sich viele beeindruckt, schnell waren die historischen Vergleiche gezogen. Etwa zu Angela Merkels energischem Versprechen „Wir schaffen das“ (2015) angesichts der sogenannten Flüchtlingskrise oder zu Mario Draghis dramatischer Versicherung als EZB-Chef, in der Finanzkrise den Euro zu retten: „Whatever it takes“ (2012). Einfache, klare Antworten auf die Krisen der Zeit – so wünscht man sich seine Politiker.
An Krisen mangelt es uns nicht. Corona-, Hunger-, Klimakrise, Stress mit China und in Afrika, Kriege und Konflikte überall: Eigentlich ist die Welt eine unendliche Aneinanderreihung von Krisen. Und seit dem russischen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine bekommt man sogar im seligen Europa etwas davon mit. Selbst wenn man damit lieber nichts zu tun hätte, wie der in anhaltender Weltflucht befindliche deutsche Unterwerfungspazifismus eindrucksvoll beweist: Wir müssen nur stillhalten und Putin nicht ärgern, dann lässt er uns in Ruhe und im Winter nicht frieren.
Scholzens „You’ll never walk alone“ will uns also beruhigen. Aber wie schon bei Merkel und Draghi wird auch bei ihm eine ganz andere Botschaft sichtbar, gewissermaßen die Botschaft hinter der Botschaft: Ich verspreche euch etwas, das ich euch versprechen muss, aber nicht halten kann – denn es wird noch viel schlimmer kommen. Die solchermaßen versprochene, angemaßte und zugleich gebrochene Akteursherrlichkeit wäre nicht weiter der Rede wert, wenn nicht etwas ganz anderes auf dem Spiel stünde: der allmähliche Übergang Deutschlands von der Krisen- in die Kriegswirtschaft.
Die Angst geht rum: Beim Geld und beim Komfort hört der Spaß auf
Denn das soll der etwas verschämte Anglizismus vom Nicht-allein-Gehen eigentlich bedeuten oder verschleiern: Der Staat wird euch helfen, aber vor allem wird er eingreifen und einschränken, auf eine Weise euer Leben verändern, gegen die sich alle Corona-Maßnahmen der Regierung wie ein laues Lüftchen ausnehmen. Der Staat bereitet sich mit aller Macht auf die Gas- und Energiekrise im Winter vor. Eine Überlebensfrage, und schon gibt’s kein Halten mehr: Laufzeiten für Atomkraftwerke, Geschwindigkeit auf Autobahnen, Temperaturen in Wohnungen, Heizen, Duschen, Waschen …
Stichwort Gas-Triage: Kriegswirtschaft ist Kommando-, ist Staats- und Planwirtschaft. Im strengen Sinne des Wortes kann davon zwar nicht die Rede sein, als sich weder die Europäische Union noch Deutschland in einem direkten Krieg befinden, sondern nur von einem Krieg indirekt betroffen sind. Damit das so bleibt, vermeidet die Regierung auch, Kriegsziele zu benennen, etwa die Niederlage Russlands, oder gar Kriegspartei zu werden. Dennoch rüstet der Staat auf, ruft die „Zeitenwende“ mit 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr aus, erwägt milliardenschwere Rettungsmaßnahmen für Unternehmen.
Die Grenzen zwischen Krise und Krieg werden durchlässig. Jetzt hat die EU endlich einen Gasnotfallplan beschlossen, die Regierungen versuchen, in dem sich abzeichnenden winterlichen Ausnahmezustand der Souverän zu bleiben. Daher die neuerlich geweckte Macher- und Akteursillusion, nicht nur bei Scholz, sondern auch bei Robert Habeck, seinem Wirtschaftsminister. Die Angst geht um: Beim Geld und beim Komfort, das wissen unsere Politiker, also beim Frieren in der Wohnung hört der Spaß auf. Dann könnte der Laden – die Demokratie, die Gesellschaft – auseinanderfliegen.
Dann hätte Putin gewonnen.