Nach dem Kaufhaussterben: Trampelpfade durch die verödende Stadt
Das Aus der Kaufhausfilialen von Galeria Karstadt Kaufhof ist erst der Anfang. Verkehrsplanung und Ökonomie müssen endlich zusammengedacht werden. Ein Kommentar.

Einfach nur Schaufenster war gestern. Um bildgewaltig in die Frühjahrssaison zu starten, sind für das Berliner Kaufhaus des Westens (KaDeWe) sogenannte Visuals entwickelt worden, durch die die aufblühende Natur und ein Gefühl des Aufbruchs in den Fokus gestellt werden sollen. Dabei handelt es sich um CGI-Naturwelten. CGI ist eine Abkürzung für „computer-generated imagery“.
Die 34 Motive für die Werbekampagne, mit der auch das zur KaDeWe-Group gehörende Alsterhaus in Hamburg und das Oberpollinger in München bespielt werden, wurden vom Künstlerduo Synchrodogs fotografiert. Mit der Frühlingskampagne, so sagt es André Maeder, CEO der KaDeWe-Group dem Portal Fashion Network, „zeigen wir eine Ode an den Frühling, die Neugier weckt und Lust auf die neuen Fashion-Kollektionen macht. Die Euphorie des Frühjahrs wird überall in unseren Stores spür- und erlebbar sein“.
Ein Strukturwandel des urbanen Raums
Die derart geschmeidig in Aussicht gestellte Euphorie hat sich allerdings nicht auf die restliche Kaufhauswelt übertragen. Die Entscheidung der Signa-Gruppe, deutschlandweit fast 50 Galeria-Karstadt-Kaufhof-Warenhäuser zu schließen, musste endgültig als Botschaft verstanden werden, dass der einst als Devise guter Lebensführung geltende Werbespruch „Kaufhof bietet tausendfach, alles unter einem Dach“ seine Bedeutung verloren hat. Ein allumfassendes Warenangebot gilt nicht länger als Vorzug, praktischer ist es, per Mouseklick auszuwählen und sich von den Ergebnissen seiner omnipotenten Entscheidungsfreiheit an der Haustür überraschen zu lassen. Selbst das KaDeWe steht als erster Konsumtempel des Landes nicht mehr über den profanen Angelegenheiten eines schon lange nicht mehr unbegrenzt erscheinenden Warentausches. Im Schatten des Karstadt-Kahlschlags verkündete der Signa-Konzern den Weiterverkauf von 49,9 Prozent seiner KaDeWe-Anteile an die thailändische Central Group, mit der Signa bereits an mehreren Standorten in Europa zusammenarbeitet. Alles wie gehabt also?
Die Kaufhauskonzepte werden weiterhin global betrieben, das Veröden der Innenstädte findet unterdessen lokal statt. Natürlich verschwinden die Immobilien, die von Signa abgestoßen werden, nicht einfach. Als Leerstand und Areale der Zwischennutzung markieren sie einen Strukturwandel des urbanen Raums, der das, was unter dem Stichwort Stadtplanung ressortiert, fast überall vor unlösbare Rätsel stellt. Sicher, das Dilemma ist nicht allein durch die Signa-Entscheidung ausgelöst worden. Viele der Häuser, die nun ihrem Schicksal überlassen werden, wirken seit Langem wie in die Jahre gekommene Reservate einer Modernisierung, die einmal ganz gezielt auf den Einzelhandel ausgerichtet war. Daraus sind hundertfach Fußgängerzonen hervorgegangen, als seien sie Exponate eines Ähnlichkeitswettbewerbs, sodass man beim Bummeln vergisst, ob man in Karlsruhe, Dortmund oder Rostock ist.
Inzwischen wird die Tristesse des Urbanen angetrieben von verkehrspolitischen Überzeugungen, in denen die verschiedenen Fortbewegungsarten nach festen Glaubensgrundsätzen und hart umringten Kampfzonen sortiert werden. Oftmals beginnt dieser Prozess mit einer Ladung Blumenkübel, in denen die lieblos gepflanzten Gewächse die heißen Sommermonate nicht überleben. Passend dazu wissen Landschaftsplaner und Gartenbauer ein Lied davon zu singen, wie sich trotz sorgsam durchdachter Wegeplanung in der schnöden Wirklichkeit stets Trampelpfade bilden, die das schöne Grün zerfurchen.
Das Vorbild Wochenmarkt
Für das, was den deutschen Städten in den nächsten Jahren weniger blüht als droht, dürfte das Ende der Ära Karstadt und Kaufhof erst der Beginn eruptiver Veränderungen gewesen sein, denen man nicht einfach mit ein paar Nachnutzungskonzepten oder Neubauprojekten beikommt.
Vielleicht könnte es sich aber lohnen, etwas länger über das Prinzip des Trampelpfads nachzudenken. Auf eine Neubelebung der Innenstädte ausgerichtete Planung setzt es eine Stadt- und Verkehrsplanung voraus, die nicht auf Jahrzehnte zementiert wird, sondern die flexible und temporäre Lösungen für rasch wechselnde Konsum- und Freizeitbedürfnisse bereithält. Auf die gediegene Institution Kaufhaus würde dann ein Mix aus Pop-up-Store, Tauschbörse, Kulturzentrum und Wohneinheiten folgen, der in die Lage versetzt werden müsste, das Erscheinungsbild auch wieder zu ändern, wenn es nicht von den Mechanismen des Marktes angenommen wird. Wenn nicht alles täuscht, werden die Innenstädte derzeit am nachhaltigsten durch die vielen regionalen Wochenmärkte belebt, auf denen sich beinahe mühelos ästhetische und ökonomische Bedürfnisse miteinander in Einklang bringen lassen. Sie vermögen zu leuchten, ohne eigens illuminiert werden zu müssen.