Hundekot und Theater: Was Sigmund Freud dazu gesagt hätte
Der Choreograf Marco Goecke hat bei seiner Attacke auf die Tanzkritikerin der FAZ tief in die Symbolkiste gegriffen. Eine Analyse.

Nach den ersten Reaktionen des Entsetzens und des Ekels, die die Attacke des am Donnerstag vom Staatstheater Hannover entlassenen Ballettdirektors und Choreografen Marco Goecke gegen eine Tanzkritikerin ausgelöst hat, fällt vielen die Rückkehr zur Tagesordnung schwer. Die Schriftstellerin Sibylle Berg probiert es versuchsweise mit Verständnis „für überragende Künstler als Ausnahmemenschen“ und schlägt eine Art Täter-Opfer-Therapie vor, als wäre das normale Leben immer so schrill, wie eine exzentrische Dichterin es sich ausmalt.
An anderer Stelle im Netz hob eine Diskussion darüber an, ob Goeckes Angriff als misogyner Akt zu werten sei oder bloß einer auf die Freiheit der Kunstkritik, was sogleich die Gegenfrage evozierte, ob er den Beutel mit den Hinterlassenschaften seines Dackels (!) wohl auch Vitali Klitschko ins Gesicht gedrückt hätte.
Die Tat und ihre Beziehung zum Unbewussten
Zum Verständnis der Tat und ihrer Beziehung zum Unbewussten mag Sigmund Freud weiterhelfen, der in der Erforschung der Psyche oft auf die Analerotik stieß, so oder so. Eine Entlastungsstrategie könnte für den Choreografen vielleicht in der Annahme bestehen, dass die Kotattacke gar nicht als aggressiver Akt der Beschämung zu deuten sei, sondern als verrückter Ausdruck von Anerkennung.
Es gibt eine Reihe von Texten, in denen Freud die Gleichung Kot = Geld durchspielt. Da ist der Gedanke nicht abwegig, dass mit der Verwertung der Exkremente auch so etwas wie Wertschätzung verbunden sei. In seiner Arbeit „Über Triebumsetzungen, insbesondere der Analerotik“ aus dem Jahre 1916 führt Freud eine neue Eigenschaft und Bedeutung des kindlichen Kots in sein Werk ein. „Der Kot ist nämlich“, so Freud, „das erste Geschenk, ein Teil seines Körpers, von dem sich der Säugling nur durch Zureden der geliebten Person trennt, mit dem er ihr auch unaufgefordert seine Zärtlichkeit bezeigt, da er fremde Personen in der Regel nicht beschmutzt …“
Der Kot, den herzugeben dem Kleinkind nicht zuletzt ein Lustgefühl bereitet, ist demnach das Geschenk an die Mutter, dem es sein Leben verdankt. Es wäre, auf die Szene aus Hannover übertragen, also eine Art Gegengeschenk an die Kritikerin, trotz der scheinbaren Aversion also ein Akt inniger Verbindung oder gar Zuneigung.

So leicht aber sollte und darf man es sich mit dem Herbeizitieren Sigmund Freuds nicht machen. Das Tauschgeschäft, das er im Sinn hatte und das der Berliner Psychoanalytiker Wolfgang Harsch in seinem Buch „Die psychoanalytische Geldtheorie“ (S. Fischer) verdichtet hat, bezog sich ausdrücklich auf den Milchkot des Kindes. Späteres Erwachsenwerden aber handelt, wie wir wissen, von schwierigen Loslösungsprozessen, in denen auch die frühen Tauschbeziehungen neu austariert werden müssen.
Für Marco Goecke ist Freud letztlich keine Hilfe, wenn man die Tatsache bedenkt, dass er Hundekot eingesetzt hat, wenngleich auch den seines mutmaßlich geliebten Dackels. In der Geldtheorie Freuds ist später gelegentlich von Verhärtungen der Ausscheidungen die Rede. Das Zurückhalten des Stuhlgangs wird dabei mit dem Thema Geiz in Verbindung gebracht, das ganze Unheil der finanzkapitalistischen Ökonomie.
Das Angebot kreativer Lust
Klar ist, dass Marco Goecke sich tief in die Kotmetaphorik hineinbegeben hat, in einem anderen Wortspiel würde man das Verb „geritten“ verwenden.
Am Ende erschöpft sich vermutlich auch das Freud’sche Theorem des Geschenks. Marco Goeckes künstlerischer Einsatz, das Angebot von kreativer Lust und deren Verwandlung in kulturelles Kapital ist zum Erliegen gekommen. Er hat der Kritikerin und allen anderen nichts mehr anzubieten als die Exkremente seines Hundes. War es das, was Goecke, der auf exzentrische Weise seinen Namen tanzte, mitteilen wollte: Eine theatralische Version seines künstlerischen Tods?