Joni Mitchell – die Würde des Alters in einem Song

Die kanadische Sängerin Joni Mitchell hatte sich längst aus dem Musikgeschäft zurückgezogen. Nun war sie noch einmal beim Festival in Newport zu sehen.

Joni Mitchell hat immer schon auf beide Seiten des Lebens geschaut.
Joni Mitchell hat immer schon auf beide Seiten des Lebens geschaut.AFP

Die kanadische Folksängerin Joni Mitchell war einmal der Schwarm der ganzen Musikszene. Ende der 60er-Jahre war das, als sie trotz Abwesenheit auf dem legendären Hippie-Festival in Woodstock mit ihrem gleichnamigen Lied die Hymne ihrer Generation in Worte gefasst hatte. „We are stardust/ we are golden“, sang sie – irgendwie müssen wir alle zurück in den Garten. „We got to get ourselves back to the garden.“ Die Rockstars jener Zeit verehrten sie, und David Crosby, mit dem sie vorübergehend ebenso liiert war wie mit dessen Bandpartner Graham Nash, brachte es auf den Punkt. Sie sei die beste Songschreiberin von allen gewesen, sagte er bewundernd und nicht ohne Neid. Crosby, Stills, Nash & Young hatten Mitchells Song „Woodstock“ zu einem Welthit gemacht. Sie selbst ist mit „Big Yellow Taxi“, „Carey“, „The Circle Game“ und vielen anderen Songs, die sie geschrieben und performt hat, zur unsterblichen Popikone geworden – allerdings eine, die dem Tod zuletzt sehr nahegekommen ist.

Zuletzt hat sie nur noch gemalt

Von Krankheiten nicht verschont, hat sich die inzwischen 78-Jährige vor langer Zeit aus dem Musikgeschäft zurückgezogen. Ihre künstlerische Berufung sah sie ausschließlich noch in der Malerei. Umso beeindruckender ist die Nachricht, dass Joni Mitchell dieser Tage beim berühmten Newport Folk Festival aufgetreten ist, das schon immer eine Art Klassentreffen der intimen Folkszene war und 1965 durch Bob Dylan einen Kulturschock erleiden musste, als dieser dort seine Gitarre an einen Verstärker angeschlossen hatte.

Joni Mitchell ist vor einigen Tagen, am 24. Juli, in Newport zusammen mit Brandi Carlile aufgetreten, gemeinsam haben sie Joni Mitchells wohl bedeutendsten Song vorgetragen: „Both Sides Now“, eine skeptisch-zuversichtliche Hymne auf das Leben.

Was für eine Erscheinung! Joni Mitchell sitzt in einem goldverzierten Lehnstuhl, man sieht ihr die körperlichen Qualen der letzten Monate an. Mit tief-brüchiger Stimme, aber ungebrochen, intoniert sie mit Brandi Carlile das Lied ihres Lebens. Singen sie zusammen? Nein, Brandi Carlile ist derart bewegt von dem Moment, dass sie kaum in den Song hineinfindet, durch den in Gestalt der gebrechlichen ewig jungen Joni Mitchell die Würde des Alters in einem einzigartigen Lied vor die Augen und ins Bewusstsein dringt. Machs noch einmal YouTube.