Das Grauen war den Ermittlern ins Gesicht geschrieben. Kölns Polizeipräsident Falk Schnabel zeigte sich bei der Pressekonferenz am Montag fassungslos: „Ein solches Ausmaß an menschenverachtender Brutalität und gefühlloser Gleichgültigkeit gegenüber kleinen Kindern, ihren Schmerzen und ihren Schreien ist mir noch nicht begegnet.“ Und Oberstaatsanwalt Joachim Roth bat die Presse sichtlich gequält: „Bitte ersparen Sie mir Schilderungen dessen, was ich gesehen habe … Das, was ich gesehen habe, hat mich bis ins Mark erschüttert.“
Der Missbrauchskomplex von Wermelskirchen dürfte alles übersteigen, was wir die vergangenen Jahre bei den Massenmissbrauchsfällen in Lügde, Bergisch Gladbach oder Münster erleben mussten. Neben dem 44-jährigen Hauptverdächtigen, der sich im Internet als Babysitter anbot und sich so unauffällig seinen Opfern nähern konnte, berichten die Ermittler von über 70 weiteren Verdächtigen und bislang 33 Opfern. Es seien überdies gewaltige Datenmengen – ein Volumen von 32 Terabyte – mit 3,5 Millionen Bildern und 1,5 Millionen Videos sichergestellt worden.
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Herbert Reul: Datenschutz ist Täterschutz
Datenmengen, Internet: Eine Lösung, wie wir der pädophilen Verbrecher habhaft werden können, scheint damit vorgezeichnet zu sein. Und so meldete sich jetzt Nordrhein-Westfalens Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) und forderte „mehr technologische Hilfe“ und „rechtliche Rahmenbedingungen“ für eine Lockerung des Datenschutzes: Es könne nicht sein, dass ein Tatverdächtiger samt IP-Adresse ermittelt werde, die Fahnder aber nicht wüssten, wie er heiße und wo er wohne. Von da war es dann nicht mehr zur Vorratsdatenspeicherung …
Unter dem Eindruck des Grauens sind solche Reflexe nur zu verständlich. Dennoch ist Datenschutz kein Täterschutz, wie Reul hier unterstellt. Mehr Daten bedeuten nicht mehr Sicherheit. Das hat sich zuletzt auch in der Diskussion um die von der Europäischen Kommission geplante Massenüberwachung („Chatkontrolle“) gezeigt. Gleichwohl besteht enormer Handlungsbedarf: Die Stiftung Internet Watch hat für 2021 einen weltweiten Anstieg der Meldungen über bestätigten sexuellen Kindesmissbrauch um 64 Prozent im Vergleich zum Vorjahr festgestellt.
Doch sollte sich „mehr technologische Hilfe“ nicht in mehr anlasslose, voll automatisierte, computergestützte Massenüberwachung übersetzen. Denn: Datenpunkte, also verdächtige Bilder und Inhalte, sind eigentlich genügend da – es mangelt vielmehr an Ressourcen für die Auswertung und Verfolgung. Kurzum, es mangelt an geschultem Personal: Das gegen alle Sparmaßnahmen der letzten Jahrzehnte vermehrt einzustellen und nicht der Technikgläubigkeit und Datensammelwut das Wort zu reden, läge in der Verantwortung eines Innenministers.