Das deutsche Wohlstandsversprechen: Warum es vorerst ans Ende gelangt ist
Klimaziele werden verfehlt, Wohnungen nicht gebaut, und es hakt bei der Digitalisierung. Die nächste Gesellschaft muss auf Überbrückungskünste setzen. Ein Kommentar.

Erst hatte sie keine Kompetenzen, titelte unlängst mit bitterer Ironie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), und dann kam auch noch Pech dazu. Die Abwandlung eines alten Fußballspruchs traf in diesem Fall die Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD), die kürzlich hatte einräumen müssen, die Verwirklichung ihrer ehrgeizigen Pläne zu verfehlen: den Bau von jährlich 400.000 neuen Wohnungen, 100.000 davon Sozialwohnungen. Kommentare mit starken Vokabeln waren schnell zur Hand: Desaster, vorhersehbar, Staatsversagen. Sie wissen schon.
Dabei sind die elaborierten Erklärungen zum Bedauern über die massive Zielunterschreitung durchaus plausibel. Krise, Krieg und Inflation. Die geldpolitische Wende der Notenbanken hat für eine Vervierfachung der Bauzinsen gesorgt, und infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine sind die Preise für Baumaterialien noch einmal drastisch gestiegen. Wer Handwerker zu Renovierungsarbeiten bereits im Haus oder in der Wohnung hat, weiß aus eigener Erfahrung, dass das Wort Lieferkettenprobleme in diesem Milieu mühelos vorwärts und rückwärts buchstabiert werden kann. Früher war alles möglich, heute haben die Ursachen von Versäumnissen stets auch globale Aspekte.
Die einst sicheren Pfade zur Behaglichkeit sind versperrt
Über die allgemeinen Mängel und konkreten Sorgen hinaus ist Klara Geywitz zur Adressatin der Frage geworden, wie es eigentlich sein kann, dass ein so elementares Bedürfnis wie das Wohnen in den letzten Jahren derart vernachlässigt worden ist. Galt das deutsche Eigenheim unter Einsatz der stabilisierenden Volksbewegung des Selbermachens lange als letzte Bastion eines unerschütterlichen Selbstbewusstseins – keinesfalls nur von Männern –, so scheint es nun in einem fort zu rieseln, bersten und abzublättern. Deutschland baut hier nicht mehr – und die langen Wartezeiten auf Nachrüstungsvorhaben mit Wärmepumpe und Solarmodulen lassen frieren und verzweifeln. Armaturen sind aus, Fliesen derzeit nicht lieferbar. Die einst sicheren Pfade zu Heim und Behaglichkeit sind versperrt. In den Städten wachsen in atemberaubendem Tempo die Zonen, in denen Wohnraum für viele unerschwinglich geworden ist, und die Zuflucht Speckgürtel oder wohlklingende Ortsnamen knapp darüber hinaus sind gekennzeichnet durch „Warten aufn Bus“ und langsames Internet.
Wenn man einmal davon ausgeht, dass Klara Geywitz nicht an allem schuld sein kann, so ließe sich vielleicht konstatieren, dass das deutsche Wohlstandsversprechen, das einmal sorgsam montiert schien aus bescheidenen Zielen, gediegener Ingenieurskunst und solidem Pragmatismus, an ein vorläufiges Ende gekommen ist. Die Zahnrädchen des Fortkommens greifen nicht mehr ineinander, Lebensplanung und Modernisierungsdruck sind auf unheilvolle Weise miteinander in Kollision geraten. Das harmlose Wort Genehmigungsverfahren löst Wutausbrüche aus.
Zum Ende des vergangenen Jahrhunderts wurde Ähnliches schon einmal unter dem Stichwort Reformstau verhandelt. Wie Mehltau schien sich zum Finale der Ära Kohl eine mentale Schockstarre über blühende und erstarrende Landschaften gelegt zu haben. Wir haben kein Erkenntnisproblem, sagte damals der sich einen Ruck herbeisehnende Bundespräsident Herzog, sondern ein Umsetzungsproblem.
Das Zauberwort Wasserstoff
Inzwischen wäre so etwas wie eine misslingende Kombinatorik zu beschreiben. In der entwickelten Spätmoderne schaut man zum Feierabend in Gleitzeit betroffen auf den Horizont eines drohenden gesellschaftlichen Wandels. Klima, Geopolitik und soziale Desintegration – angesichts multipler Herausforderungen ist gesellschaftliche Zukunft selbst zu einem prekären Gut geworden. Politik, Wissenschaft und Wirtschaft erschließen keine Möglichkeitsräume mehr, sondern schmücken routiniert die Bühnenkulisse zur Präsentation ihres nächsten Scheiterns.
Dabei mangelt es nicht an Ideen und den dazugehörigen Nachhaltigkeitszertifikaten. Wer nicht zu den bemitleidenswerten Modernisierungsverlierern gerechnet werden will, raunt das verheißungsvolle Wort Wasserstoff und signalisiert dadurch sogleich Offenheit und Anschlussfähigkeit.
Warum dann doch wieder alles schiefgeht mit dem Wohnungsbau, der Bereitstellung von Ladesäulen für E-Mobilität und der Digitalisierung der Verwaltung, hat sehr viel damit zu tun, dass im Modus einer Just-in-time-Produktion vorangetriebene Innovationen ihr Gespür für den Umgang mit Pausen, Pannen und Planungsdefiziten verloren haben. Die nächste Gesellschaft wird eine der Überbrückungskünste sein müssen. Schöner Wohnen und ein ausgeprägter Sinn für Näheverhältnisse wären den Menschen, die sie bilden, Leidenschaft und Bestimmung.