Luisa Neubauer: Ein bisschen Jeanne d’Arc, ein bisschen Romy Schneider
Die Fridays-for-Future-Bewegung setzt auf Verletzlichkeit und Härte. Schadet sie mit ihrer Kompromisslosigkeit ihren klimapolitischen Zielen?

In den späten 70er-Jahren hätte sich vermutlich kein Kernkraftgegner dazu verleiten lassen, von Gorli oder Broki zu sprechen, Niedlichkeitsformen für das im Bau befindliche Kernkraftwerk Brokdorf oder das geplante Endlager Gorleben im idyllischen Wendland. Tatsächlich ergaben die Stecknadeln auf einer Karte Westdeutschlands so etwas wie eine innere Landkarte des Protests. Wackersdorf, Grohnde und Wyhl am Kaiserstuhl wurden, so würde man heute sagen, symbolisch markiert. Zugleich verwiesen die Orte der westdeutschen Provinz auf ein alternatives Milieu, in dem viele bereit waren, dem Staat die Zähne zu zeigen. „Wehrt Euch, leistet Widerstand …“

„Radikal sein“ als Haltung
Auch wenn mich die Bezeichnung Lützi für das Dorf Lützerath ein wenig abstößt, erkenne ich doch viele Parallelen zur damaligen Stimmung. So unsinnig und fahrlässig ich es finde, dass junge Menschen sich in einem unterirdischen Tunnelsystem verbarrikadieren, ruft es doch Erinnerungen an Weggefährten wach, die ebenfalls zu allem entschlossen waren. Angesichts solcher Szenen ist heute schnell von Radikalisierung die Rede, damals gehörte „radikal sein“ im „radical chic“ zur habituellen Grundausstattung. Wer sich entzog, entwickelte leicht Schuldgefühle ob seiner Feigheit.
Rund 45 Jahre später fällt es mir schwer, Luisa Neubauer die Anerkennung für ihre beharrliche Klimapolitik zu verweigern. Sie ist das Gesicht des Widerstands, ein bisschen Jeanne d’Arc, ein bisschen Romy Schneider. Härte und Verletzlichkeit. Sie weiß um ihre enorme rhetorische Begabung, und ein erfahrener Politiker wie der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul ist sich dessen bewusst, dass nichts schlimmer wäre, als ihr gegenüber herablassend oder altväterlich paternalistisch zu erscheinen. Selbst wenn Neubauer und ihresgleichen der Anflug einer Irritation erreichte, dass sie womöglich falsch liegen, so würden sie es doch nicht bekennen. In ihrem akuten Kampf sind Einsicht und Zögerlichkeit nicht vorgesehen.
Luisa und ihresgleichen haben keine Zeit
Bei aller Sympathie für so viel Entschlossenheit frage ich mich, ab wann in dem Alternativmilieu, in dem ich politisch sozialisiert worden bin, ein staatsbürgerliches Bewusstsein gereift ist, das so verpönte Dinge wie Kompromisse und Rechtsempfinden nicht nur hingenommen, sondern auch schätzen gelernt hat? Es hat vermutlich sehr viel mit dem nachholenden kulturellen Wandel der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer zu tun.
Entschuldige die ollen Kamellen, Luisa. Du hast leider nicht so viel Zeit.