Auf eine Art hat Frank Ulrich Montgomery nicht ganz unrecht, wenn er in Bezug auf die von der EU anvisierte Senkung der Heiztemperatur in Büros auf 19 Grad sagt: „Dann bringt man sich halt den Pullover von zu Hause mit.“ In der Tat erscheint eine Zimmertemperatur in dieser Höhe für Herbst oder gar Winter aushaltbar. Zumal zu einer Jahreszeit, da die meisten Menschen in Deutschland eh mehr als ein T-Shirt am Leib tragen und vielleicht sogar, wenn sie ganz verwegen sind, einen Schal.
Ich selbst gehöre sogar zu den Unverfrorenen. Mir ist eigentlich nie kalt, fast egal wie ich mich kleide. Ich drehe selbst im tiefsten Winter in Bayern die Heizung so gut wie nie hoch. Ich bin überzeugt, dass meine Vermieter auch in Berlin trotzdem einen Weg finden Werden, die explodierenden Gaspreise auf mich umzuverteilen.
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Was allerdings an der Aussage des Ärztefunktionärs so ärgerlich ist, ist nicht nur die Tatsache, dass es außer ihm und mir dann doch noch ein paar Menschen in diesem Land geben dürfte, denen einen Zimmertemperatur von 19 Grad im Winter eben nicht ausreicht. Sei es, weil sie krank oder weil sie eben doch verfroren sind. Jeder Jeck ist anders, wie man in meiner Heimat Köln sagt, für manche bedeutet das dann staatlich verordnetes Dauerfrieren.
Es sind aber vor allem der Ton und die Genese, die hier missfallen: Der 70-jährige Radiologe fällt nicht zum ersten Mal damit auf, sich von oben herab im Ton zu vergreifen und nach Gutsherrenart Fragestellungen ihre Komplexität abzusprechen. Soll er sich doch selbst einen Pulli anziehen im Winter, aber die Leute von seiner vereinfachenden Weltsicht verschonen.
Der Mann bekleidet ein öffentliches Amt, befindet sich in einem fortgeschrittenen Alter und hat, wie der Volksmund sagt, seine Schäfchen längst ins Trockene gebracht. In einer derart von Krisen und Ängsten geschüttelten Zeit ist es deshalb denkbar unangemessen, mit hemdsärmeligen Abwehrmechanismen um sich zu schlagen. Manche sehen die größte Wirtschaftskrise aller Zeiten für Deutschland vor der Tür, andere können sich schon jetzt von ihrem geschrumpften Nettolohn nicht mal mehr einen neuen Pullover leisten.
Ein Ärztefunktionär dieses Ranges sollte die gesellschaftlichen Umbrüche im Blick haben. Ungebetene Ratschläge an das Volk durch eine gutverdienende Elite sind einer Demokratie unwürdig.