Die Jagd geht weiter: Die Documenta nach dem Schormann-Rücktritt

Bei der Documenta wird weiter nach Schuldigen gesucht. Die Diskussion um die Kuratorin Emily Dische-Becker erweist sich als zermürbende Stellvertreterdebatte.

Besucher der Documenta vor dem Museum Fridericianum in Kassel
Besucher der Documenta vor dem Museum Fridericianum in KasselRüdiger Wölk/Imago

Nach dem Rücktritt der Generaldirektorin Sabine Schormann kommt die Kasseler Kunstausstellung Documenta nicht zur Ruhe. Wie auch? Die Fragen nach antisemitischen Motiven in einigen Kunstwerken schwelen ebenso weiter wie die nach Haltungen von Mitgliedern der sogenannten Findungskommission, die mit den Stichworten „israelfeindlich“ und „BDS-Nähe“ in Verbindung gebracht werden. Die inzwischen allseits geforderte Aufklärung ist in das trübe Fahrwasser von Misstrauen, Verdacht und Mutmaßungen geraten.

Nach dem Rücktritt Schormanns haben sich einige detektivisch veranlagte Aufklärer derweil auf die Berliner Autorin und Kuratorin Emily Dische-Becker fokussiert. Welche Rolle die 39-Jährige genau innehatte, ist aus dem Streit zwischen Schormann und Kulturstaatsministerin Claudia Roth nicht hervorgegangen. Als belastendes Indiz soll ein Video gelten, in dem Dische-Becker Tipps zum Abwiegeln des Antisemitismus-Vorwurfs gibt. Aber weil das Publikum sein Interesse an Wer-Wann-Was-Fragen allzu schnell verliert, warteten einige Zeitungen nun mit größerem Kaliber auf. Dische-Becker soll von 2006 an über einen längeren Zeitraum für die der schiitischen Organisation Hisbollah nahestehende Zeitung Al Akhbar tätig gewesen sein.

Gegenrede? Klarstellung? Emily Dische-Becker meldete sich in einem Thread über den Nachrichtendienst Twitter zu Wort. Sie habe von 2005 bis 2012 in Beirut als freie Journalistin gelebt und gearbeitet und 2006 lediglich einen Artikel als Co-Autorin für die umstrittene Zeitung geschrieben.

Im Würgegriff politisierter Haltungen?

Ist dies Material für eine nach antisemitischen Spurenelementen fahndende Ermittlung oder einfach nur „too much information“ – zu viel Information aus einem verwirrenden Geflecht organisierter Verantwortungslosigkeit? Der Umgang mit der ins Rampenlicht gezerrten, aus einer jüdischen Familie stammenden Emily Dische-Becker zeigt, wie schlimm es um die Documenta steht. Während Dische-Becker stellvertretend für eine womöglich viel größere Kohorte von Documenta-Akteuren eine Nähe zur illiberal-kunstfeindlichen Boykott-Organisation BDS nachgewiesen werden soll, zerläuft der emphatische Begriff Kunstfreiheit wie ein Schneeball in der Sommerhitze. Um das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa ist es sehr still geworden, und wie sich die Documenta aus dem Würgegriff mutwillig politisierter Einstellungen befreien soll, ist derzeit nicht zu erkennen.