Nato-Luftangriffe: Als der offene Brief noch als Farbbeutel kam

Die deutsche Gesellschaft streitet nicht zum ersten Mal über die Beteiligung an einem Krieg. Eine Erinnerung.

Bundesaußenminister Joschka Fischer auf einem Parteitag der Grünen in Bielefeld im Mai 1999
Bundesaußenminister Joschka Fischer auf einem Parteitag der Grünen in Bielefeld im Mai 1999dpa

Ein Hauch von Neujahrsansprache ging durch das Fernsehstudio, in dem sich der Bundeskanzler vor einer rustikal simulierten Bücherwand zum historischen Sprechen über den Krieg ins Bild setzte. Nein, es handelt sich nicht um eine Beschreibung des Interieurs, in dem sich Olaf Scholz am symbolträchtigen 8. Mai seinen Staatsbürgern präsentierte. Der Eingangssatz stammt aus der taz vom 26. März 1999, in der ich eine Rede des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder im Duktus einer Stilkritik kommentiert habe: „Im Vergleich zur feierlichen Ansprache vor knapp vier Monaten war das Regal reichlich angefüllt. Eine fein ausgearbeitete Holzattrappe simulierte den Rückhalt des Klassikerkanons. Irgendwie Weimar.“

„An dem Einsatz der Nato“, hatte Schröder gesagt, „sind auch Soldaten der Bundeswehr beteiligt.“ Mir schien es geboten, die Nüchternheit zu bemerken, in der er den Angriff der Nato auf Serbien beschrieb. „Schröders ambivalentes Ringen um einen undramatischen Auftritt passt in das Bild“, fuhr ich fort, „das die Öffentlichkeit angesichts der Bombenangriffe auf Belgrad gibt.“ Der Beklommenheit der verantwortlichen Politiker stehe eine weitgehende Ratlosigkeit gegenüber und natürlich die eindringlichen Warnungen eines pazifistischen „Nie wieder“. Der damalige Präsident der Berliner Akademie der Künste, der ungarische Schriftsteller György Konrád, etwa hatte den Nato-Einsatz kritisiert. Eine Bombardierung werde keine Lösung bringen, und mit Gewalt, so Konrád, lassen sich keine Demokratien schaffen. Er sehe die Gefahr, dass sich die Situation ähnlich entwickle wie in Vietnam.

Als die Stellungen im Meinungskampf nicht besetzt waren

Meine Beobachtung aus dem Jahre 1999 schließt vorsichtig optimistisch. Keine Spur bemerkte ich von einer paranoiden Verdächtigungsrhetorik, die während des Golfkriegs die Formel „Kein Blut für Öl“ erzeugt hatte. Es sei alles etwas komplizierter geworden, die Stellungen im Meinungskampf seien nicht besetzt. Die Beobachtung verleitete mich damals zu der Hoffnung auf einen differenzierten Diskurs, „der die Erfahrung früherer Bewegungsemphasen in Politik verwandelt“.

Das manifeste Symbol meiner Täuschung war der Farbbeutelwurf gegen das Trommelfell von Außenminister Joschka Fischer ein paar Wochen später. Geschichte wiederholt sich nicht, wohl aber die Kakophonie, in der erregt über Krieg, Waffenlieferungen und Putins Pläne gestritten wird. Der offene Brief war damals ein buntes Wurfgeschoss.