Schwere Impfnebenwirkungen zu verharmlosen, schadet der Impfkampagne
Bisher hat es funktioniert, Betroffene zu diffamieren. Inzwischen haben sie sich vernetzt und zumindest ein bisschen Hilfe in der Forschung gefunden. Gut so!

Es ist ein Schlag ins Gesicht für die Betroffenen: Schwere Impfnebenwirkungen seien „nicht vergleichbar mit der Schwere der Erkrankung von Post-Covid“, hat der Gesundheitsminister zuletzt öffentlich verkündet. Es war überhaupt sein erstes bekanntes Statement zu schweren Impfnebenwirkungen, in dem Karl Lauterbach weder ihr Vorhandensein negierte noch die Betroffenen oder die Verkünder der schlechten Nachrichten als Impfgegner diffamierte.
Und das im Jahr zwei nach Start der Impfkampagne. Er sollte es mittlerweile wirklich besser wissen.
Und das tut er wohl auch, denn Hunderte von Patienten haben sich kürzlich in einer konzertierten Aktion noch einmal an Politik und Medien gewandt, ihre schweren Symptome geschildert, die viele von ihnen arbeitsunfähig machen, sie haben um Aufmerksamkeit geradezu gebettelt, nachdem einzelne von ihnen schon lange zuvor alle zuständigen Ämter, Politik und Medien angeschrieben hatten. Sie haben Ansprechpartner gefordert, Forschung, eine wissenschaftliche Aufarbeitung ihrer Fälle. Doch aus der Politik kam: einfach keine Antwort auf ihren Brandbrief. Niemand, der zuständig ist, kann deshalb heute noch behaupten, er wisse nichts von schweren Impfnebenwirkungen.
Allein die Zahl der Betroffenen in Deutschland und auch der Ablauf der Erkrankung nach Impfung, inzwischen als Post-Vac-Syndrom bezeichnet, kann noch nicht genauer eruiert werden. Aber das ist ja nichts Neues in dieser Pandemie. Wie am Freitag erst wieder öffentlichkeitswirksam von der extra eingesetzten Expertenrunde verkündet wurde, sieht es mit sämtlichen Daten und Erkenntnissen rund um Corona hierzulande schlecht aus.
Wenn es also um sämtliche Daten so schlecht bestellt ist: Wieso werden dann ausgerechnet die zu den schweren Impfnebenwirkungen noch schlechter behandelt? Sie werden ja nicht einmal gezählt.
Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) als zuständige Behörde verlässt sich darauf, dass die Ärzte die Nebenwirkungen schon melden würden. Ärzte melden wiederum, dass allein schon die Eingabe der Formulare zu lange dauern würde, sie im Praxisalltag kaum Zeit dazu hätten, diese Zeit von der Behandlung der Patienten abgehe, für die sie ohnehin kaum mehr als fünf Minuten hätten, und die Meldung überdies nicht vergütet werde. Muss man sich unter diesen Umständen wundern, dass Nebenwirkungen der Impfungen untererfasst werden und die vom PEI veröffentlichten Zahlen wohl kaum die Realität abbilden?
Hinzu kommt, dass die Daten der Krankenkassen zu den codierten Impfnebenwirkungen, also den tatsächlich mit den Krankenkassen als Impfnebenwirkungen abgerechneten Fällen, bisher nicht veröffentlicht wurden. Als ein Krankenkassen-Chef aus Bayern dies anregte, an die Öffentlichkeit trat und seine Zahlen mit denen des PEI abgleichen wollte, wurde er noch am selben Tag, an dem das Treffen stattfinden sollte, entlassen. Inzwischen hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) die Zahlen zu codierten Impfnebenwirkungen auf Anfrage veröffentlicht, es sind mit rund 2,5 Millionen Fällen zehnmal mehr als die vom PEI veröffentlichten Impfnebenwirkungen.
Bedeutet das nun, dass zehnmal so viele Patienten nach der Impfung aus Spaß zum Arzt gegangen sind oder dass sie sich rechtswidrig einfach nur krankschreiben lassen wollten oder dass sie tatsächlich Impfnebenwirkungen hatten, und wie viele davon waren schwer? Man weiß es nicht. Es wurde bisher einfach nicht ausgewertet. Auch wenn die Zahlen der Krankenkassen höher sein dürfen als die des PEI, weil bei der Behörde eher ungewöhnliche Impfnebenwirkungen gemeldet werden und den Kassen auch normale Impfreaktionen: Der Gesamtverhalt bleibt unklar.
Doch der Gesundheitsminister stellt sich vor die Kamera und behauptet einfach mal so, ohne jegliche Evidenz, die schweren Impfnebenwirkungen seien auf jeden Fall viel, viel weniger schlimm als Post-Covid. Das ist fahrlässig. Es ist eine Unverschämtheit gegenüber den Betroffenen. Und es ist im Bestfall noch der Versuch, eine Impfkampagne für den Herbst zu retten.
Aber das ist wiederum so durchsichtig, wie es der Impfkampagne inzwischen eher schadet. Bisher haben sich viele Menschen darauf verlassen, dass die meisten die Corona-Schutzimpfung gut vertragen, dass sie ihnen eher hilft als schadet. Aber wenn ein Gesundheitsminister nun schwere Impfnebenwirkungen so verharmlost? Wie soll man dann darüber denken? Karl Lauterbach kennt die Forschung aus Marburg, wo man sich an der eigentlichen Long-Covid-Ambulanz längst vermehrt um das Post-Vac-Syndrom kümmern muss, weil das Institut von vor allem jungen Menschen mit schweren Impfnebenwirkungen überrannt wird.
Außerdem: Bis zu 15 Prozent aller Covid-19-Erkrankten haben mit Long Covid zu kämpfen, zwei Prozent mit Post-Covid, schätzt die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Es sind aber hierzulande wohl wesentlich mehr Menschen geimpft als erkrankt – aber selbst das weiß man nicht mal genau. Also wie kann Lauterbach verkünden, Post-Vac sei ein so viel kleineres Problem als Post-Covid?
Ein solches Verhalten von oberster Stelle schafft kein Vertrauen, es schafft Misstrauen. Und das kann der Gesundheitsminister mit Blick auf den Herbst nun wirklich am schlechtesten gebrauchen.