„Delilah“ – warum sie plötzlich nicht mehr lachte
Die Verherrlichung von Gewalt gegen Frauen ist in Rock-, Rap- und Bluesstücken keine Seltenheit. Das Verbot eines Schlagers und seine Geschichte.

„My, my, my Delilah“. Der hymnische Ton verlockte zum Mitsingen. Natürlich hatten wir Heranwachsende keine Ahnung, um was es in dem Hit von Tom Jones geht. Eine Geliebte, ein Messer – und gibt es in der Bibel nicht eine Delilah-Geschichte von Verrat und Leidenschaft? Das 1967 von den Komponisten Barry Mason und Les Reed geschriebene Stück ist eine sogenannte Power-Ballade, die in der Zeit nachhaltig von Tom Jones, dem „Tiger“, geprägt worden war.
Ist so etwas noch zeitgemäß? Der walisische Rugby-Verband hat nun angekündigt, „Delilah“, eine Art inoffizielle Rugby-Hymne, beim nächsten Six-Nations-Turnier nicht mehr singen zu wollen. Grund für das Verbot sei der Text, in dem ein Mann seine untreue Partnerin mit einem Messer angreift. Das könne einige Zuschauer verstören, erklärte ein Sprecher des Principality-Stadions in Cardiff.
Ein Mann, der die Kontrolle verliert
Man könnte auch von einem Femizid sprechen. Ob Delilah die in dem Lied geschilderten Angriffe überlebt hat, ist nicht gewiss. In einer Mischung aus Verzweiflung und Triumph heißt es in dem Song, dass sie nun nicht mehr lache. Für den ob der Diskussion um seinen Song erschrockenen Tom Jones handelt das Lied von einem Mann, der Kontrolle verliert.
Tötungsdelikte aus Eifersucht sind in Blues und Rock keine Seltenheit. In „Hey Joe“ von Jimi Hendrix wird eine Frau getötet, weil sie mit anderen Männern abhing. Das Stück ist ein Folk-Klassiker, der William Moses Billy Roberts jr. zugeschrieben wird. In dem Blues-Stück „Frankie and Albert“, das Louis Armstrong, Taj Mahal, Bob Dylan und viele andere gesungen haben, tötet Frankie am Ende ihren Mann, weil dieser sie notorisch betrogen hatte.
Der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen hat zu erklären versucht, woher diese Neigung zur Verherrlichung von Tötungsdelikten kommt, die zuletzt vor allem im Rap besungen und oft auch gefeiert wurden.
Alles, was im Pop zu Wort kommt
Popmusik, die überhaupt der Rede wert sei, so Diederichsen, sei ein Ereignis des Zu-Wort-Kommens. „Hier reden, formulieren, gestalten die, die bis dahin nicht zu Wort gekommen sind“, weil sie zu jung, zu ausgeschlossen oder zu unartikuliert waren. Was da ausgesprochen wird, sei oft hochproblematisch, selbst wenn es sich um Befreiungen handelt, so Diederichsen. „Die jungen Männer der Sechziger steckten ohne Frage in libidinösen Gefängnissen. Ihre Befreiung dekontaminierte ihre toxische Männlichkeit kaum. Gab man ihnen frei, machten sie Jagd auf Girls, fast im wörtlichen Sinne.“
Im Fall von Tom Jones und „Delilah“ ging es allerdings weniger um jugendliche Befreiung als vielmehr um die Verlustängste weißer Mittelstandsmänner. Die Institution Ehe befand sich in der Krise und verhieß in den Jahren des Aufbruchs nach 1968 keine Sicherheit mehr. In „Deliah“ erhielt die häusliche Gewalt einen kulturellen Ausdruck, der in dem Popsong zugleich verkitscht und normalisiert wurde.