Warum ich mich über die Klima-Kleber nur wundern kann

Unsere Autorin würde sich lieber eine Hand abhacken als beim Zähneputzen das Wasser laufen zu lassen. Trotzdem misstraut sie den aktuellen Klimaaktivisten. 

Ist es sinnvoll, sich auf die Straße zu kleben, oder erweist die Letzte Generation ihrem Anliegen einen Bärendienst?
Ist es sinnvoll, sich auf die Straße zu kleben, oder erweist die Letzte Generation ihrem Anliegen einen Bärendienst?Carsten Koall/dpa

Bisher habe ich zu den sogenannten Klima-Klebern geschwiegen, denn sie haben mich nicht tangiert. Was sie fordern, ist für mich ein so alter Hut, dass ich darüber nur milde lächeln kann.

Ich bin in einem rot-grünen Haushalt aufgewachsen, was am tiefschwarzen Niederrhein kein so großer Spaß war. Wir waren immer der Feind, wir waren immer anders. Waren die Eltern meiner Schulkameraden in den 1980er-Jahren noch schwer damit beschäftigt, das Wirtschaftswunderwachstum im tiefsten deutschen Westen anzukurbeln, hatten meine eigenen Eltern, aus Köln zugezogene Akademiker, längst neue Ideen im Kopf. Meine Mutter hat sozusagen die Grünen mitbegründet, war in meiner Heimatstadt in der Folge jahrzehntelang Vorsitzende der Umwelt- und Bürgerrechtspartei.

Will heißen: Ich kenne das Klientel in- und auswendig, diese Leute gingen bei uns zu Hause ein und aus. Ich kenne die nächtelangen Diskussionen, die erhitzten Köpfe, den moralischen Anspruch, den unbedingten und durchaus kämpferischen Wunsch, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, ich habe all das quasi mit der Muttermilch aufgesogen.

Ich kenne auch alle Gegenargumente, sie schlugen mir schon als Kind entgegen, wenn jemand nicht die Chuzpe hatte, sie an meiner Mutter auszulassen, sondern an mir als sechsjährigem Schulkind. Ich werde nie vergessen, wie ein Klassenkamerad, Daniel, es gab damals sehr viele Daniels, dessen Vater ein Versicherungsbüro führte und für die FDP im Stadtrat saß, mich eines Morgens auf dem Schulweg abpasste, um mich angriffslustig zu befragen, warum wir denn Haus und Auto hätten, wenn wir doch Kommunisten seien. Ich wusste damals nicht mal, was Kommunisten sind.

Natürlich prägt mich diese ideologisch gefärbte Kindheit bis heute. Ich würde mir eher eine Hand abhacken als beim Zähneputzen das Wasser laufen zu lassen. Strom- oder Heizungsanbieter erhöhen auch bei mir die Preise, aber ich verbrauche naturgemäß so wenig Strom wie irgend möglich und heize nur im tiefsten Winter ein Zimmer – dasjenige, in dem ich mich am meisten aufhalte. Die Heizung im Bad habe ich noch nie aufgedreht, weil sich das nicht lohnt für die paar Minuten am Tag, die man es benutzt. Für mich ist das ganz normales Verhalten.

Letzte Generation Aktionen in München.
Letzte Generation Aktionen in München.Alexander Pohl/imago

Mein ökologischer Fußabdruck ist klein – aber wir haben andere Probleme

Auch ich habe in meiner Jugend gegen meine Eltern rebelliert: indem ich das Licht in Zimmern angelassen habe, sobald ich sie verließ. Meinen Vater konnte man damit auf die Palme bringen, sobald die Glühbirne auch nur 15 Minuten zu lang brannte. Einmal hatte ich im Badezimmer ein Radio laufen, bei geöffnetem Fenster, mein Vater hörte zwei Etagen tiefer, dass ich das Bad schon längst verlassen hatte. Er stellte sofort den Strom im ganzen Haus ab.

Sie können sich also vorstellen, dass diese Klima-Kleber mir nicht allzu viel beizubringen haben. Ich esse seit über einem Jahrzehnt kaum Fleisch, habe genauso lange kein Auto mehr und von Fernreisen war ich eh nie besonders angetan. Ich fahre natürlich auch nicht Ski, obwohl ich 15 Jahre lang in München gelebt habe. Mein ökologischer Fußabdruck dürfte nicht allzu groß sein; ich habe ihn nie ausgerechnet und ich spreche oder schreibe auch normalerweise nicht darüber. Kinder wollte ich nie haben.

Man könnte also meinen, ich stünde mit den Klima-Klebern Seit an Seit, doch davon kann ich nicht berichten. Sie sind mir eher suspekt.

Das liegt unter anderem daran, dass meine Mutter eine sehr lebenskluge Frau war. Die ökologische Frage war ihr schon vor 50 Jahren wichtig, nachdem der Club of Rome vor den Gefahren gewarnt hatte, die uns heute allzu gegenwärtig sind. Noch wichtiger aber waren ihr die Bürgerrechte. Man erinnere sich daran: Die Grünen waren in ihren Anfängen eine Bürgerrechtspartei. Sie wollten alles anders machen als die saturierten Altparteien, sie wollten keine Köpfe wählen lassen, sondern Inhalte, keine Nieten in Nadelstreifen über Menschen regieren lassen, sondern Wahlprogramme von „unten“ erarbeiten.

Sie wollten die Macht aus den elitären Zirkeln zurückholen auf die Straße, in die Familien, in die Wahlurnen. Eher unabhängig von sozialem Status, den die anderen Parteien für ihre Wählerklientel ausgemacht hatten. Sie wollten echte Demokratie. Sie glaubten daran, die Welt im Sinne der Aufklärung egalitärer machen zu können – in der Frauenfrage, in der Migrantenfrage, in der Umweltfrage. Und ihre Vertreter haben sich selbst immer als Vertreter dieser Lebensweise verstanden, für die sie warben. Manche haben es übertrieben, sind nur noch in Öko-Klamotten und Jesuslatschen herumgerannt. Anton Hofreiter ist einer dieser klassischen Grünen, denen man die Parteizugehörigkeit auch heute noch von weitem ansieht.

Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90 Die Grünen in Berlin. 
Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90 Die Grünen in Berlin. Bildgehege/imago

Warum adressieren sie so selten die dicken Fische?

Aber er ist auch ein Typus des Vertreters der neuen Grünen, mit denen ich wenig anfangen kann. Meine Mutter ist aus der Partei ausgetreten, als die Grünen 1999 mit Joschka Fischer in den Kosovo-Krieg gezogen sind. Für sie und ihre engsten Verbündeten war das damals ein Verrat an den Glaubenswerten der Gründer. Von deutschem Boden und unter deutscher Beteiligung sollte nie wieder ein Krieg ausgehen. Meine Mutter gründete damals ihre eigene neue Bürgerrechtspartei und machte munter weiter.

Auch heute fühlen sich so manche Grünen-Wähler von ihrer Partei verraten, die noch ein paar Monate zuvor im Wahlkampf ausdrücklich dafür geworben hatte, mit ihnen würden keine Waffen mehr in Kriegsgebiete geliefert werden. Für mich ist das nichts Neues. Weil sich die Grünen schon so lange von dem entfernt haben, wofür sie einmal standen. Die Frauenfrage, die Migrantenfrage, die Umweltfrage haben Generationen vor ihnen längst erkämpft, wir haben heute eine andere Gesellschaft als damals, mit neuen Problemen. Wer kümmert sich darum? Die Grünen von heute haben mit den Grünen von damals, die ich sehr gut kenne, nicht mehr viel gemeinsam. Nicht wenige ihrer Akteure sind Karrieristen, die noch vor 20 oder 30 Jahren in ganz anderen Parteien dieselbe Karriere gemacht hätten.

Ich kann die Kritik an den Grünen, sie seien eine moralinsaure Verbotspartei, die den Menschen ihre Lebensweise aufzwingen wollen, auch halbwegs verstehen. Eigene Gewohnheiten zu ändern ist nie leicht. Vor allem nicht, wenn man nicht versteht, wozu das gut sein soll. Am deutschen Wesen sollte schon zu oft die Welt genesen, was der Welt nicht besonders gut getan hat, und warum sollten sich Deutsche in ihrem Alltag rund um die Uhr gängeln lassen, während in USA oder China kein Hahn danach kräht, die Umwelt zu schützen? Nur um zu den „Guten“ zu gehören? Das ist ein Gegenargument, das nicht so leicht von der Hand zu weisen ist.

Die Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen Bettina Jarasch. 
Die Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen Bettina Jarasch. Paul Zinken/dpa

Noch absurder aber erscheint mir nun das Gebaren der Klima-Kleber. Warum kleben sie sich nicht an den Parteizentralen derjenigen fest, die jahrzehntelange Politik gegen den Umweltschutz betreiben? Warum nicht an den Konzernzentralen, deren Gebaren für die größten Klimasünden verantwortlich ist? Warum adressieren sie so selten die dicken Fische und so oft den kleinen Mann?

Mit den ursprünglichen Zielen der Umweltschützer hat das kaum noch etwas gemeinsam – und schon gar nicht mit dem eigentlichen Ziel der Bürgerrechtsbewegung.

Am allerdeutlichsten wurde das zuletzt mit dem Thailand-Flug der beiden Klimaaktivisten (die im übrigen nicht die einzigen aus der Bewegung sind, die fliegen). Ja, sie sind noch sehr jung und ja, sie sind in einer Generation aufgewachsen, für die es normal ist, alle paar Wochen Fernreisen zu buchen und mit ihren Hightech-Handys, die sehr viele Ressourcen verbrauchen, die immer weiter schwindende Unberührtheit der Natur in den entlegensten Winkeln der Welt auszuleuchten. Aber sind nicht die Klima-Kleber und die sogenannte Letzte Generation sowie die Anhänger von Fridays for Future diejenigen, die ältere Generationen stets dafür verantwortlich machen, ihnen die Zukunft geraubt zu haben? Wie lässt sich dieses Argument denn ernsthaft vertreten, wenn man es selbst nicht besser macht? Oder sogar schlechter?

Am peinlichsten aber ist die Ausrede, die alles nur noch schlimmer macht und der Letzten Generation jegliche argumentative Grundlage entzieht: Die Klima-Kleber seien ja nicht als Klima-Kleber nach Thailand geflogen, sondern als Privatleute. Ja, wären sie mal lieber als Klima-Kleber geflogen, dann hätten sie dort womöglich aufklärerisch tätig sein können.

Man sollte diesen jungen Menschen offenbar einmal grundsätzlich die Welt erklären, anstatt sie sich von ihnen erklären zu lassen. Und sie nicht in Schutz nehmen für etwas, das sie anderen täglich vorwerfen. Wasser predigen und Wein trinken war schon in der Bibel verpönt. Eigentlich nichts Neues. Und doch immer wieder so aktuell.