Trinkgeld, das die Briten zurückhaltend Tip nennen, ist ein symbolischer Rest einer traditionellen Gesellschaft. Es markiert ein soziales Gefälle zwischen Bedienten und Bedienenden. Als freiwillige Leistung ist es kein im Preis enthaltenes Äquivalent. Vielmehr ist es die generöse Geste derjenigen, die es sich leisten können und wollen. Einerseits. Auf der anderen Seite gibt es die Erwartung derjenigen, die danach trachten, es zu empfangen. Sie haben eine Dienstleistung erbracht, und die soziale Beziehung der ungleichen Akteure wird dadurch nicht kaschiert, aber im Gleichgewicht gehalten.
Abweichungen gelten als unziemlich
Die Kultur des Trinkgeldgebens ist unterschiedlich ausgeprägt. In Frankreich werden in der Gastronomie zwischen fünf und zehn Prozent des Rechnungsbetrages als ungeschriebenes Gesetz betrachtet. Es trägt zum Erhalt des sozialen Gefüges bei. Abweichungen gelten als unziemlich. In Deutschland scheint das Trinkgeldverhalten weniger ritualisiert. Zwar gelten auch hier zwischen fünf und zehn Prozent als angemessen. Stärker als in der französischen Bürgergesellschaft und der englischen Klassengesellschaft wird es hier jedoch mit der erbrachten Leistung verknüpft. Unzufriedene Gäste knausern bei der zusätzlichen Entlohnung.
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Die gerade aufkeimende Sommerdebatte, in die sich sogar ein Bundesminister eingemischt hat, handelt auch von einer Regelungswut, die selbst vor sozialen Übereinkünften nicht haltmacht. Natürlich ist seitens der Gastronomen die Zahlung eines Trinkgelds in der Preisgestaltung enthalten. Die vergleichsweise schlechte Bezahlung ist zweifellos einer der Gründe dafür, warum sich die Gastronomie nach der Corona-Pandemie schwertut, ausreichend Personal zu finden. Als soziale Geste bleibt das Trinkgeld ein wichtiges Zeichen für das Vermögen, ohne komplizierte Berechnung miteinander quitt zu werden.